Angewandtes Lernen
Was machen wir, wenn sich Anwohner über Lärm beschweren? Was, wenn es mit anderen Cliquen Streit um die Grillhütte gibt? Vielleicht, weil jemand etwas zerstört hat? Oder sich nie an die Regeln hält?

Drei Tage haben Natalja Koop und Benjamin Küppers von der Mobilen Jugendarbeit Erftstadt für diese Fragen einkalkuliert. Drei Tage, die sie und ein Deeskalations-Trainer zusammen mit sieben 17-Jährigen und einem 18-jährigen im nahen Mondschau-Hargard in einer Jugendherberge verbringen.

Der erste Tag.
Am Nachmittag ist das Thema: Gruppenregeln. Die Jugendlichen sind engagiert, es geht um ihre Hütte, die vielleicht in der nahen Nachbarschaft für Ärger und bei anderen Jugendlichen zu Neid führen kann. Zudem ist sie für alle da – und Teilen kann manchmal schwierig sein. Fairness, Toleranz und Respekt wünschen sie sich, wenn es zu Konflikten kommen sollte. Diese goldenen Regeln wollen sie auch in die Hütte hängen. Außerdem soll Vandalismus verboten sein und Drogenkonsum. Wenn alle sich anständig verhalten, gibt es keine Probleme – da sind sich am Ende des ersten Nachmittags alle einig. Und wenn es doch Probleme gibt, können sie vernünftig gelöst werden, wenn man sich auch beim Streiten an einige Regeln und Lösungsstrategien hält. Dass man sich -  wenn es gar nicht untereinander klappt - an Benjamin Küppers oder Natalja Koop wendet, bevor der Streit vollständig eskaliert, zum Beispiel. Oder sich schlicht noch einmal hinsetzt und sortiert, wer jetzt was falsch gemacht hat. Die Theorie leuchtet allen ein. Und die Praxis ist nur einige Stunden weit entfernt.

Genauer:
Sie beginnt um 22 Uhr. In der Jugendherberge soll jetzt Nachtruhe herrschen. Im Jungenzimmer allerdings wird gefeiert, gelacht, Musik gehört. Die fünf Jungen besuchen die drei Mädchen und umgekehrt. Alle rennen über den Flur, lachen, haben etwas getrunken und großen Spaß dabei. Im Zimmer nebenan liegen drei ältere Männer, die am Tag darauf zu einer Geschäftsreise nach Hamburg aufbrechen wollen. Lange liegen sie allerdings nicht, denn ab halb zwei Uhr morgens werden sie wütend und gehen ebenfalls in den Flur, um die Jugendlichen zu Ruhe zu schimpfen.
Die interessiert das wenig und auch die nächtlichen Ruhebitten ihrer Betreuer helfen immer nur kurz: Zu einer Jugendherbergsfahrt gehört so eine Nacht eben dazu, finden die Teenager jetzt in diesem Augenblick.

Am nächsten Morgen eskaliert der Konflikt. Die drei Gäste beschweren sich bei der Herbergsleitung, wollen ihre Übernachtung nicht zahlen, weil sie nicht geschlafen haben. Zu Recht, finden die Jugendherbergschefs und stellen die Gruppe vor die Wahl: Entweder sie zahlen die 60 Euro der gestörten Gäste oder sie sollen schon am Mittag abreisen. Tag zwei des Deeskalations-Trainings beginnt also sehr praktisch: Wer hat eigentlich was falsch gemacht? können sich die Jugendlichen heute fragen. Dabei kommt natürlich heraus, dass das auch sie waren. Obwohl sie der Ton der Männer geärgert hat und sie sich schon fragen, warum jemand in einer Jugendherberge übernachtet, der am nächsten Morgen auf jeden Fall ausgeschlafen sein muss. Schritt Zwei der Problemlösung muss schnell gehen, weil sonst die Abreise droht: Was können wir jetzt machen? Über die 60 Euro wollen die Jugendlichen noch einmal mit der Herbergsleitung verhandeln, sie ansonsten aber anstandslos zahlen, weil sie ihren Fehler einsehen – so die Strategie. Außerdem wollen sie einen Entschuldigungsbrief an ihre ehemaligen Flurgenossen schreiben. Bei den Verhandlungen wollen sie schuldbewusst, aber ruhig auftreten und Kompromisse suchen.

Es klappt:
Statt 60 Euro zu zahlen oder gar abreisen zu müssen, arbeiten die Jungen zweimal in der Küche. Die Mädchen schreiben einen Entschuldigungsbrief.„Besser hätten wir Deeskalationsstrategien nicht vermitteln können“, sagen die Jugendarbeiter im Nachhinein. „Sogar das Streitthema Lärm wird es wahrscheinlich zwischen Jugendlichen und Anwohner irgendwann mal geben.“Nacht zwei wird ruhiger. Einigermaßen ausgeschlafen und mit vielen neuen Ideen, die vielleicht einmal Grillhütten-Namen werden können oder Inneneinrichtungen, fahren die Erftstädter nach Hause. Wie Streit erfolgreich gelöst werden kann, ist an diesem Wochenende mit Sicherheit angekommen.