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4. Chronologischer Ablauf/Handlungsschritte

Anlaufphase
Die Streetworkerinnen standen durch das regelmäßige Aufsuchen der informellen Treffpunkte im Kontakt mit den Jugendlichen, so dass eine Kommunikationsebene schon geschaffen war.
Dadurch war eine direkte Ansprache der Jugendlichen in Bezug auf das Projekt möglich. Ende September wurden die Jugendlichen an den bekannten informellen Treffpunkten aufgesucht und nach ihrem Interesse an dem Projekt befragt. Alle angesprochenen Jugendlichen erklärten sich zur Mitarbeit bereit.

Die InteressentInnen wurden gebeten, sich in eine Handyliste einzutragen. So konnte die Info zu einem ersten Planungstreffen per Handy bzw. im Schnee­ballsystem weitergegeben werden.
In dieser Zeit wurden durch die Stadtbetriebe schon erste Räumungsarbeiten auf dem Platz durchgeführt.

Auf verschiedenen Informationstreffen mit dem Ordnungsamt, der Polizei, dem Jugendamtsleiter und der zuständigen Dezernentin wurden die Modalitäten für das Projekt konkretisiert. Zur Unterstützung der Streetworkerinnen wurden 2 Honorarkräfte hinzugeholt, die schwerpunktmäßig die Arbeiten auf dem Platz unterstützen und koordinieren sollten.

Da der JHA kurz vor Beginn des Projektes getagt hatte, war dort noch nicht über das Projekt entschieden worden. Die Projektleitung wurde daher zu diesem Zeitpunkt um Zurückhaltung gegenüber den Anwohnern gebeten.

Die Projektgruppe
Die ca. 30 Jugendlichen, die kontinuierlich mitgearbeitet haben, repräsentieren drei verschiedene Cliquen, die sich jedoch untereinander kennen und miteinander kommunizieren. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Freizeit hauptsächlich auf der Straße verbringen und dabei informelle Treffpunkte um und auf dem „Oberhof“ nutzen. Bemerkenswert ist die breite Altersstruktur zwischen 12 und 18 Jahren und die hohe Beteiligung von Mädchen (ca. 50%). Beim ersten Projekttreffen Mitte Oktober wurde von den 15 anwesenden Jugendlichen der „Oberhof“ als optimaler Projektstandort bestätigt. Als hervorragende Bedarfe wurden Überdachung, Sitzbänke und eine Toilette herausgearbeitet.


In der folgenden Projektarbeit pendelte sich die Beteiligung an den „theoretischen“ Treffen auf ca. 10-15 Jugendliche ein, während bei den fast täglich stattfindenden praktischen Arbeiten auf dem Platz regelmäßig 20 Jugendliche dabei waren. Durch die kontinuierliche praktische Arbeit kamen die Jugendlichen sowohl untereinander als auch mit den Streetworkern in einen vertrauensvollen Kontakt. Es konnte eine Verbindlichkeit hergestellt werden, die eine gute Basis für die weiteren Besprechungen bzgl. des Regelwerkes für die Platznutzung darstellt.

„Es ging schon schnell darum, wer darf was entscheiden und an welcher Grundlage machen wir das fest. (…) es kam ganz schnell nicht mehr darauf an, wer aus welcher Gruppe ist. Die haben auch ihre Gruppensprecher und ihre Frontleute danach gewählt, wen sie am fähigsten empfunden haben.“ (Streetworkerin, Selm)

Im Projektverlauf konnten die Streetworkerinnen beobachten, dass die Jugendlichen durch die intensive Zusammenarbeit an „ihrem Platz“ zu einer homogenen Gruppe zusammengewachsen sind.

Methoden
Da die Jugendlichen durch die kontinuierliche mobile Jugendarbeit schon bekannt waren, erfolgte die Kontaktaufnahme durch direkte Ansprache an den informellen Treffpunkten. Dort wurden mit den interessierten Jugendlichen Telefonnummern ausgetauscht. Damit wurde eine erste Verbindlichkeit hergestellt.

Die gemeinsame praktische Arbeit wurde bewusst eingesetzt, um eine Basis zu schaffen für die eher theoretischen und damit weniger greifbaren Anteile des Projektes. Die „Schlechtwettertage“ wurden als Unterbrechung der fast täglichen Platzeinsätze genutzt, um im nahe gelegenen Jugendzentrum in Gesprächsrunden die Zielsetzungen, Strategien und Notwendigkeiten des Projektes zu klären.

Den Projektleiterinnen war es wichtig, das Projekt niederschwellig zu gestalten. Daher wurde die praktische Arbeit auf dem Platz bewusst genutzt, um auch zögernden Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Kontakt zu den beteiligten Jugendlichen bzw. den Mitarbeitern aufzunehmen und dazu zu stoßen.

Durch die gemeinsame Praxis wurde eine Basis geschaffen für die eher theoretischen und den Jugendlichen schwerer zugänglichen Bereiche des Projektes. Hierbei wurde insbesondere darauf geachtet, dass den Jugendlichen alle zu berücksichtigenden Umstände transparent gemacht wurden:

  • Die Wünsche der Jugendlichen wurden konkretisiert.
  • Die Zeit- und Finanzplanung wurde offen gelegt.
  • Die Interessen der Jugendlichen wurden denen der Erwachsenen gegenüber gestellt.
  • Öffentlichkeit und Verdrängungsprozesse wurden diskutiert.
  • Das Prozedere der politischen Entscheidungsfindung wurde erarbeitet.
    Öffentlichkeit und Verdrängungsprozesse wurden diskutiert.
Die direkte, praktische Umsetzung machte es möglich, den Jugendlichen den Zusammenhang zwischen diesen eher abstrakten Themen und den eigenen Möglichkeiten der Beteiligung zu verdeutlichen.

Vom ersten Projekttreffen an wurden die Ergebnisse der Gespräche visualisiert. Alle Vorschläge, Namen und Ideen wurden gesammelt, aufgeschrieben und ausgelegt, so dass der Stand der Dinge für alle sichtbar wurde. So wusste jeder, worüber er diskutiert und abstimmt. Jede Entscheidung wurde von der Gruppe abgestimmt, wobei die Ab-stimmungsmodalitäten jeweils von den Jugendlichen selbst erarbeitet wurden wie z.B. offene Abstimmung oder Punktesystem.
Speziell bei der Aufstellung des Regelkataloges wurden zu bestimmten Themenfeldern Kleingruppen gebildet, die selbst organisiert arbeiteten. Die Ergebnisse wurden im Plenum vorgestellt und abgestimmt.

Es gab jedoch auch freie gemeinsame Aktivitäten, die nicht nur unter dem Arbeitsaspekt standen. Um die, nach den Anwohnerprotesten eingeknickte, Motivation wieder aufzubauen wurde z.B. gemeinsam gekocht und gegessen. Die miteinander verbrachte Zeit wurde „nebenher“ für einen Coachingprozess genutzt. Es wurden Ziele und Strategien für die Auseinandersetzung mit den Anwohnern entwickelt. In Rollenspielen wurden Möglichkeiten ausprobiert, den Bedenken der Anwohner positiv zu begegnen. „Das ist eine ganz tolle Erfahrung, auch wenn es inhaltlich z.B. nur um eine Farbe geht. Aber auf einer anderen Basis geht es darum, wie vertrete ich meine Meinung in der Gruppe und wie stelle ich für mich eine tragfähige Mehrheit her, wie kann ich Überzeugungsarbeit leisten warum ist jetzt der Vorschlag eines anderen besser als mein Vorschlag. Da ist unabhängig von der ganzen politischen Dimension etwas total Wichtiges in dem Projekt.“ (Streetworkerin)

Auch hier konnte wieder ein Transfer stattfinden, da die Jugendlichen die Möglichkeit hatten, ihr Projekt dem JHA vorzustellen. Die positive Resonanz verstärkte ihr Gefühl, mit ihrem Anliegen ernst genommen zu werden.

Gerade bei den Kontakten mit der Öffentlichkeit (Politik, Presse, Anwohner) legten die Streetworkerinnen Wert darauf, die Jugendlichen gut vorzubereiten bzw. die Ergebnisse gemeinsam mit den Jugendlichen aufzuarbeiten.

5. Besonderheiten des Projektes

Da der „Oberhof“ als Projektstandort zu Beginn des Projektes feststand, konnte in Selm anders als bei den anderen Projekten auf den Synergieeffekte zwischen praktischer und politischer Beteiligung aufgebaut werden. Methodisch gab die hohe Motivation und Mitwirkung der Jugendlichen und die vorerst geschlossene Zustimmung der Politiker den Projektleiterinnen Recht.

Durch die vorgegebene enge Zeitschiene konnten die Anwohner nicht vorab in die Planung mit einbezogen werden, was dazu führte, dass diese vehement mit rechtlichen Schritten gegen die Etablierung eines Jugendtreffs an diesem Standort agierten. Bemerkenswert ist die Auseinandersetzung mit der Problematik, die durch die Anwohnerproteste in der Selmer Öffentlichkeit angestoßen wurde. In einem Marathon von Anwohneranhörungen, Presseberichten, Leserbriefen und politischen Abstimmungen wurde eine hitzige Debatte zu dem Thema „Jugendliche im öffentlichen Raum“ geführt.

Gegen den Protest der Anwohner sprach sich die Politik für das Projekt an diesem Standort aus.
Dieser politische Rückhalt wird als ein klares Bekenntnis für diese Form der Jugendarbeit betrachtet.
 
„Das ist auch so eine Art Vertrauensvorschuss in unsere Arbeit, das muss man ganz klar sehen. Wir stehen jetzt im Fokus, so oder so.“ (Streetworkerin)

Da die Stadt den Jugendlichen den langen Prozess zur Durchsetzung des Standortes nicht zumuten will, stellte sie umgehend einen alternativen Standort zur Verfügung. Auch hier wurden umgehend nach Bekanntgabe Proteste der Anwohner laut, denen vor Beginn der Arbeiten mit einer Anwohneranhörung vor Ort begegnet werden soll.