Die Jugendlichen von der rechten Seite
Die Hauptstraße teilt Pungelscheid in zwei Welten: Die auf der linken Seite besteht aus Einfamilienhäusern, Carports und gepflegten Vorgärten, die auf der rechten aus sozialem Wohnungsbau. Die Stahlindustrie im 3.000 Einwohner großen Dörfchen, das zu Werdohl im Märkischen Kreis gehört, ist Geschichte. Der danach folgende Strukturwandel noch nicht. Und so sind viele auf der rechten Seite arbeitslos.

Die Jugendlichen von der rechten Seite allerdings haben zurzeit viel zu tun. Sie engagieren sich - mit Taten, mit Worten. Sie brauchen einen eigenen Treffpunkt, sagen sie, und das schon seit Jahren. Den Kampf darum haben sie inzwischen gewonnen – jedenfalls so gut wie – hoffen sie. „Auf dem Weg dahin haben sie jetzt schon sehr viel gelernt, das ihnen auch später nutzen wird“, sagt der Werdohler Streetworker Sebastian Schefe, der die Jugendlichen seit eineinhalb Jahren betreut. Auf dem Weg zum eigenen Treffpunkt wurde viel gestritten – für die meisten Pungelscheider waren die Jugendlichen bislang vor allem eins: eine Zumutung. Treffpunkte im öffentlichen Raum gab es für die Clique von etwa 15-20 jungen Leuten zwischen 15 und 22 Jahren nämlich immer. Nur sehen wollte sie dort niemand.

Eine Bushaltestelle. Die einzige überdachte im Ort, von der aus der Bus in die Stadtmitte Werdohls fährt. Jugendliche hocken dort, sagen in die Kamera, dass das ihr liebster Treffpunkt ist, weil es hier nicht regnet, sie sitzen können und der Supermarkt nicht weit ist. Ihr Fazit: Es gibt ja sonst nichts.

Die Kamera haben sie selbst geführt. „Lebens(T)raum – Alltag aus meiner Sicht“ heißt das Filmprojekt der Stadt Werdohl, an dem sie im letzten Herbst mit Hilfe des Kölner JFC Medienzentrum gearbeitet haben. „Und eigentlich haben die Kölner nur kurz die Technik erklärt, alles andere kommt ausschließlich von den Jugendlichen“, sagt Streetworker Sebastian Schefe. „Das war wirklich beeindruckend.“ Positiv aufmerksam wollten die Jugendlichen auf sich machen und für ihr Anliegen werben.

Die Jugendlichen zeigen in dem Film nicht nur die drei Orte, an denen sie sich treffen: die Bushaltestelle, ein Grillplatz, die Garagen eines Hinterhofs. Der Film zeigt vor allem das Grundproblem der Pungelscheider Clique: Der überwiegende Rest des Städtchen am Rand des idyllischen Ebbegebirges will Jugendliche insgesamt  an diesen Treffpunkten nicht sehen. Vor allem die Bushaltestelle, der Lieblingstreffpunkt, ist ein Problem. Verkehrstechnisch ist sie die wichtigste Bushaltestelle Pungelscheids. Die Clique und der Rest Pungelscheids treffen hier deshalb ständig aufeinander. Gegenseitige Provokation ist an der Tagesordnung. „Der Konflikt hat sich seit Jahren hochgeschaukelt“, erzählt Sebastian Schefe. „Ständig kommt es zu Auseinandersetzungen: Den Anwohner sind die Jugendlichen zu laut oder sie ärgern sich über den Müll, dann wird die Polizei oder das Ordnungsamt gerufen. Und das nervt die Jugendlichen, die sich einfach nur irgendwo treffen wollen und nicht die Verursacher aller Schwierigkeiten
sind.“ Die Jugendlichen werden dann von ihrem Treffpunkt vertrieben – mangels Alternative kommen sie aber immer wieder. „Sie stören uns hier“, sagen die Anwohner in dem Film auch ganz offen. Die Clique dagegen fühlt sich zu Unrecht in die Ecke gedrängt. „Irgendwo müssen sie schließlich aus sein dürfen“, sagt auch der Streetworker.

Ist das Wetter gut, gehen sie zum Grillplatz im Wald, auf dem Grillen aber verboten ist. Und dann gab es früher noch den Garagentreffpunkt – aber der wurde den Jugendlichen wieder abgenommen, weil ein paar wenige von ihnen sich sehr schlecht benommen hatten. Sonst gibt es für Jugendliche in Pungelscheid fast nichts. Der Jugendraum ist an den Wochenenden meist geschlossen, Angebote für Jugendliche gibt es unter der Woche nur zwischen 17 und 20 Uhr. „Das deckt nicht ansatzweise das Bedürfnis der Jugendlichen, sich zu treffen.“

In ihrem Film sagen sie ihrer Stadt und ihren Mitbürger deutlich, was sie wünschen. Eine massive Hütte – nicht brennbar - ,die sie vor schlechtem Wetter schützt und aus der sie nicht vertrieben werden, weil sie ihre ist. Ein Junge zeigt im Film auf die Hütte eines Kleingartenvereins. „So wie diese vielleicht.“ Stehen soll sie am Grillplatz, wünschen sie sich.

Diese Idee mussten sie inzwischen verwerfen. „Das Gelände gehört einem privaten Eigentümer“, sagt Sebastian Schefe. „Der lehnt das strikt ab, weil er Probleme befürchtet.“ Die Clique hat aber inzwischen auf Vorschlag eines Pungelsscheider Bürgers eine Alternative gefunden. „Das ist der perfekte Ort“, ist der Streetworker überzeugt. Nur 50 Meter von der Bushaltestelle entfernt, aber viel tiefer in einem Tal – und dadurch ein gutes Stück von den nächsten Anwohnern entfernt. Außerdem auf städtischem Gelände. Mit den Anwohnern hat sich die Clique bereits zu heißen Würstchen und Gespräch getroffen. „Es kamen fast 50 Leute zu dem Termin“, sagt Schefe. „Sie machen sich Sorgen, dass es bald Lärm und Vandalismus in ihrer Gegend gibt, aber die meisten konnten wir davon überzeugen, dass für Jugendliche etwas getan werden muss.“

Jetzt muss dieser Ort nur noch durch den Jugendhilfeausschuss der Stadt als endgültiger Standort für das von der LAG finanzierte „Betreten-erlaubt“-Projekt verabschiedet werden. Weil in die eigens gegründete Interessengemeinschaft für den Lebens(T)raum der Jugendlichen neben dem Bürgermeister auch andere Jugendhilfeausschussmitglieder eingetreten sind, erwartet der Streetworker von dieser Rathaussitzung am 8. September nur noch das grüne Licht für den Baubeginn. Vorsichtshalber machen aber alle weiter mit der Öffentlichkeitsarbeit, bei Kirchengemeinden, in Firmen und auf den Straßen rechts und links von der Hauptstraße. Sebastian Schefe ist sich sicher: „Danach geht es mit dem gleichen Feuereifer an den Bau.“