Die LAG hat 2009 verschiedene Projekte beraten.
Die interessantesten Projekte stellen wir hier vor.


    

Eine Frage der Sichtweise 

Die Drachenfigur vor der Kirche am Marktplatz, der bunte Bus der mobilen Jugendarbeit Eschweiler, in dem man sich im Winter so gut aufwärmen kann: 12 Jugendliche aus Eschweiler haben ihre Sicht der Welt auf einen Baucontainer gesprüht. „Jugendansichten aus Eschweiler“ steht als Titel über dem Marktplatzbild und an der Seite „Jugend hat viele Seiten“.


Foto: Stefan Herrmann

Der Container gehört dem Eschweiler Containerdienst Schümmer. Inhaber Michael Schümmer hatte im vergangenen Jahr die Idee, sich von Jugendlichen einen Container besprayen zu lassen – und ihn dann bunt an seine Kunden zu vermieten. Ein Plan, den das Team der Mobilen Jugendarbeit des Jugendamtes der Stadt Eschweiler – Olaf Tümmeler und Oliver Krings – gleich für mehr nutzen wollte. „Das war die Gelegenheit, die Sicht der Jugendlichen öffentlich zu machen und sie gleichzeitig dazu zu bringen, über sich und ihre Umgebung kreativ nachzudenken“, sagt Olaf Tümmeler, mobiler Jugendarbeiter der Stadt Eschweiler. Damit war die Idee zum Projekt „Jugendansichten aus Eschweiler“ geboren.

Weil es im Projekt um die Sicht der Jugendlichen geht, musste diese Sicht erstmal her. Zwölf Mädchen und Jungen zwischen 14 und 18 – die meisten treffen sich regelmäßig auf dem Skateplatz der Stadt – zogen wochenlang mit der Kamera durch die Stadt und lichteten die Orte ab, an denen sie sich mit ihren Freunden treffen: Den Marktplatz, den Schulhof des städtischen Gymnasiums, den Bus, mit dem Olaf Tümmeler täglich durch die Stadt fährt – Orte, die wichtig für ihr Leben sind und die sich vor allem im öffentlichen Raum befinden.

Und das führt immer wieder zu Konflikten. „Wo Jugendliche sich treffen, wird es schnell mal laut“, sagt Olaf Tümmeler. „Oder es bleibt Müll liegen und Dinge gehen kaputt.“ Ärger ist daher häufig – und nicht immer sind die Teeanger im Unrecht. „Jugendliche brauchen für sich einen Raum ohne ständige Überwachung von Erwachsenen, deshalb suchen sie ihn draußen im öffentlichen Raum“, sagt der Diplom-Sozialarbeiter. „Dieses Bedürfnis ist vielen Erwachsenen gar nicht klar und sie reagieren mit Unverständnis.“ Die Bilder der Jugendlichen sollen zu mehr Verständnis führen, indem sie klar machen: Diese Orte sind für unser Leben wichtig, auch wenn sie für Erwachsene nur einige Treppen und Bänke von vielen sind.

Diese Sichtweisen sind ab jetzt auf den Straßen Eschweilers unterwegs: Die Firma Schümmer vermietet Container an die Kommune, an Baubetriebe und an Privatleute aus dem gesamten Stadtgebiet der 54.000 Einwohnerstadt nahe Aachen – und der mit den „Jugendansichten aus Eschweiler“ ist jetzt einer davon und kommt wie alle Baucontainer viel herum. Auf ihm sind einige der Fotos per Sprühdose vergrößert und übertragen worden. „Auch dass es Graffiti ist, trägt zu einer anderen Sichtweise der Jugend bei“, sagt Tümmeler.
„Graffiti ist in Eschweiler ein öffentliches Problem und wird vor allem als Schmiererei wahrgenommen, weil tatsächlich oft nur Tags – also Sprayerkürzel – oder andere Worte gesprüht werden. So tritt Graffiti nun auch als Kunstform in Eschweiler auf.“

Kunst, die nicht nur öffentlich ausgestellt wird, sondern auch in der Öffentlichkeit hergestellt: Nach der Anleitung des von der mobilen Jugendarbeit organisierten Graffiti-Künstlers Marcel Prescha übten die Jungen und Mädchen das Sprühen mit einer „Molotow-Premium-Spraydose“ zuerst auf einer Leinwand. Danach wagten sich die ersten an die 2,5 mal sieben Meter Außenfläche des Containers. Darüber, welche Fotos an den Container kommen, wurde vorher ausgiebig diskutiert. „Dass alle an den Entscheidungen beteiligt sind, war sowieso eine der Säulen des Projekts“, sagt Tümmeler. Ihre Meinung sagten auch die erwachsenen Spaziergänger am Skatepark. „Wir haben sehr viele begeisterte Rückmeldungen gekriegt“, sagt Tümmeler. „Aber es war auch wirklich künstlerisch anspruchsvoll, Fotos in Graffiti umzusetzen.“


Foto: Stefan Herrmann


Ob die positiven Reaktionen – auch von Seiten politischer Funktionsträger – Auswirkungen auf das Leben der Jugendlichen haben, sollen die nächsten Monate zeigen. „Ich verstehe das Projekt vor allem als Lobbyarbeit“, sagt Olaf Tümmeler. Während der Projektvorbereitungen hat der mobile Jugendarbeiter viel mit den Jugendlichen über ihre Wünsche an den öffentlichen Raum der Stadt Eschweiler gesprochen. Den empfinden viele der Jugendlichen nicht als attraktiv. „Ihnen fehlen vor allem Mode und CD-Geschäfte“, sagt Tümmeler. Auch träumen viele von einem „Haus für die Jugend“, in dem weniger strenge Strukturen herrschen als in vielen der Jugendzentren. „Ein offenes Angebot schätzen sehr viele“, sagt Tümmeler, der in seinem Mobil – einem ehemaliger Rettungswagen – ein eben solches macht: vor Ort an den wechselnden Treffpunkten der Jugendlichen und zu immer wechselnden Zeiten. Im Mobilen Jugendtreff geht es auch um Ernstes: Schulverweigerung, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Sucht. „Man kommt ins Gespräch und so kann ich bei Bedarf Hilfe anbieten und vermitteln“, sagt Tümmeler. „Mit offenen Angeboten erreicht man viele, die sonst von der Jugendhilfe gar nicht erreicht würden.“ Die mobile Jugendarbeit Eschweiler hat bereits sechs überdachte Treffpunkte an in verschiedenen Stadtteilen Eschweilers errichtet, um dem Bedürfnis nach freien Treffpunkten entgegen zu kommen.

Die Jugendansichten könnten dabei helfen, noch mehr Räume für Jugendliche zu schaffen, hofft Olaf Tümmeler. Mehr gesprüht wird jedenfalls bald. Die Volkshochschule Eschweiler will nach dem Vorbild der mobilen Jugendarbeit des Eschweiler Jugendamtes bald ebenfalls einen Graffiti-Workshop für Jugendliche anbieten. Und auch der soll die Sicht der Jugend auf einer öffentlichen Fläche abbilden. 

MIRIAM BUNJES