Eine Hütte mit Weitblick
Ümit und Anton verschütten großzügig Grillanzünder. Es qualmt, aber ein paar Meter weiter oben ist es sowieso nebelig. „Zum Glück war das Wetter besser, als wir gebaut haben“, sagt der 18-Jährige Ümit und schaut zufrieden ein paar Meter weiter. Sechseckig aus leicht rötlichem Holz mit einem noch grauen Dach. „Ganz fertig geworden sind wir dann doch nicht“, sagt Ümit. „Aber wir können uns schon unterstellen“. Und das wollen die Jugendlichen heute feiern. Zusammen mit Streetworker Sebastian Schefe und Tobias Chylka haben sie in der Nachbarschaft Handzettel verteilt, damit vor allem ihre künftigen Nachbarn zur Hütteneinweihung kommen. Und auch offizieller Besuch hat sich angekündigt: Der Bürgermeister, die Jugendamtsleiterin, der Dienststellenleiter der Polizei. „Das haben wir auch aus dem Projekt gelernt“, sagt Anton.

„Dass, wenn man ganz viel mit den Leuten abspricht, auch viel mehr klappt.“Seine Clique hat seit einem Jahr auf diese Hütte hingearbeitet. „Sie ist deshalb auch für die jüngeren Jugendlichen. Wir sind alle um die 18, da brauchen wir einen solchen Treffpunkt nicht mehr jahrelang“, sagt Ümit. „Die Jüngeren haben auch schon beim Bauen mitgeholfen.



“Und das war ein hartes Stück Arbeit. Das Grundstück liegt idyllisch an einem Hang - zu drei Seiten mit Blick auf Wald und Wiese, zur vierten auf die Einfamilienhäuser auf der anderen Straßenseite. Zwischendurch haben die Jugendlichen dieses Gelände jedoch verflucht, erzählen sie. „Tonnenweise haben wir hier Bauschutt weggeschaufelt und dann ist das hier so schräg und alles voll Matsch“, sagt Ümit. 460 Arbeitsstunden hat sich Streetworker Sebastian Schefe für die Jugendlichen notiert. „Es haben aber auch mehr als 20 Leute mitgearbeitet.“ Ein paar Stunden werden auch noch dazu kommen: Es sollen noch Bänke in die Hütte und Holz auf das Dach. Aber die Hauptsache steht: Die Hütte, in der die Jugendlichen vor Wind und Wetter geschützt sind. „Wir werden uns wohl auch im Winter hier treffen“, sagt Anton. Deshalb haben sich die Teenager in dem Planungstreffen mit dem Architekten auch für zwei Seiten ihres Sechsecks Plexiglasscheiben gewünscht. „Ohne Fenster wäre es zu dunkel, gegen den Wind mussten es aber welche mit Scheiben sein“, sagt Ümit.

Hildegard Heidmann hat schon den Bau der Hütte beobachtet. „Ich finde das super“, sagt sie - obwohl sie ganz in der Nähe wohnt. „Von mir aus können die hier auch ein bisschen Remmidemmi machen. Kinder und Jugendliche brauchen das“, sagt die dreifache Mutter und fünffache Großmutter. Einige ihrer Nachbarn in der Siedlung neben dem neuen Treffpunkt sehen das anders. „Man hört immer Lärm, wenn man ihn hören will“, sagt dazu Hildegard Heidmann. „Außerdem waren die Jugendlichen vorher auch in unserer Nähe – und da haben sie deutlich mehr gestört.
“Tatsächlich ist der alte Treffpunkt an der Bushalte-stelle, die hier alle im Viertel benutzen, gerade mal 50 Meter entfernt. „Ständig haben sich die Leute da über uns beschwert“, sagt Anton. „Es kam auch oft die Polizei.“ Die Idee, einfach ein paar Meter weiter nach unten zu ziehen, kam von einem Anwohner. Auch er ist heute zur Eröffnungsfeier gekommen. „Ich wusste aus der Zeitung, dass die Jugendlichen einen Platz für eine Hütte suchen“, sagt er. „Weil ich ständig hier mit meinem Hund vorbeikomme, fiel mir auf: Dieser Ort ist doch perfekt dafür.

“Allein deshalb war es gut, ständig im Kontakt mit der Öffentlichkeit zu stehen, wissen die Jugendlichen. Denn auch sie sind sehr zufrieden mit dem Standort. „Wir können ihn alle gut erreichen und haben sogar noch Außengelände drum herum“, sagt Anton. „Und wir haben wirklich viel Unterstützung bekommen.“ Hin und wieder wird es trotzdem Ärger geben fürchten die Jugendlichen. „Wegen Lärm, wenn wir hier mal feiern, denn wir sind ja ziemlich nahe an der Siedlung dran.

“Das Auto des  Bürgermeisters von Werdohl biegt in die Einfahrt ein. Trotz des Nieselregens ist es voll geworden rund um die neue Hütte. „Wenn alle von uns kommen, wird es hier auch voll“, sagt Ümit mit Blick auf die Menge. „So dreißig Leute werden hier im Sommer bestimmt regelmäßig auf einmal sein.“ Jörg Bora, der Bürgermeister, will sich vor allem bedanken: Bei den Jugendlichen, den Sozialarbeitern, dem Schreiner und der Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork für das Geld, ohne das diese Hütte in einer Nothaushaltsgemeinde wie Werdohl nicht möglich gewesen wäre. Die Anwohner klatschen. Die meisten, die hier stehen, sehen den Treffpunkt wie Hildegard Heidmann: „Es muss doch was geben, wo die sich draußen treffen können.“ Und, bemerkt auch der Dienststellenleiter der Werdohler Polizei: „Hat man es selbst aufgebaut, wird es wahrscheinlich nicht zerstört.



“Anton und Ümit wenden die Würstchen. Inzwischen sind auch die meisten ihrer Clique eingetroffen – zu einem Großteil kommen sie direkt von ihrem Arbeitsplatz, zur Schule gehen die meisten schon nicht mehr. „Im Sommer werden wir das dann oft so machen“, planen sie. „Ganz entspannt nach der Arbeit Grillen.

“Als Anerkennung für ihr Durchhaltevermögen auf dem manchmal mühseligen Weg zu dieser Hütte schenkt der Bürgermeister allen Jugendlichen einen Kinobesuch. Es wird kälter auf dem Baugelände. Der Nieselregen überfriert, die meisten Anwohner sammeln ihre Hunde ein, spannen die Regenschirme auf und verschwinden in der Siedlung. Die Jugendlichen wollen sich noch ein bisschen an ihrer Hütte freuen: Das größte Geschenk haben sie sich nämlich selbst gemacht.