Träume vom Sommer
Die fünf Jungen haben ihre Jacken so weit wie möglich hochgezogen und die Skateboards an die Holzbänke angelehnt. Unter den Betonpfeilern, die das massive Holzdach tragen, hängt eine Girlande aus Papierluft-ballons. „Wenn das so kalt ist wie heute, sitzen wir hier eigentlich nicht“, sagt Raffael Zacher. „Dann fahren wir die ganze Zeit, dafür sind wir ja auch hier.“

Auch Björn reibt frierend die Hände aneinander, es ist nasskalt an diesem 12. Januar. Einige andere Skater fahren die Rampe neben dem Unterstand herunter. Sie rutschen ab, auch die Beschichtung ist zu feucht. „Richtig viel werden wir diesen Unterstand erst im Sommer benutzen“, sagt Björn. „Dann können wir hier abends noch sitzen und grillen und so.“

Zurzeit verlassen die meisten der etwa 20 Marler Skater den Skateboardplatz auf dem Zechengelände Brassert, wenn es zu dunkel zum Skaten wird. Heute nicht. Heute will die Clique ihren Unterstand feiern. Für den haben sie ihre Herbstferien mit Schleppen und Häm-mern verbracht, er soll ihnen einen Rückzugsraum bieten, wenn sie dann doch mal eine kleine Fahrpause einlegen wollen.



Andere Jugendliche benutzen den nach drei Seiten offenen Unterstand schon jetzt als Abendtreffpunkt. Hellorange haben Raffael und seine Freunde die graue Betonwand erst vorgestern gestrichen, „das sah vorher so ein bisschen trostlos aus“, sagt der 17-Jährige. „Und wir haben gedacht, schön gestrichen – das hält vom Beschmieren ab“, sagt der 14-jährige Florian.

Genervt guckt er auf die Wand hinter sich. Hellorange ist sie zwar immer noch, inzwischen stehen aber mehrere mit schwarzem Edding geschriebene Namen auf der Wand. „Zu uns gehören die nicht“, sagt Björn. „Wenigstens ist kein Hakenkreuz dabei.“ Hier sitzen fast jeden Abend irgendwelche Jugendcliquen, sagt er. „Das ist ein öffentlicher Ort, der natürlich nicht nur uns gehört“, sagt er. „Weil wir das gebaut haben, ist das aber vom Gefühl her unserer“. Deshalb ärgern sich alle über die Schmierereien. „Im Sommer holen wir uns den Platz zurück“, sagt Björn.

Heute Nachmittag gehört er sowieso der Clique. Vor dem ausrangierten Linienbus der mobilen Jugendarbeit
Marl haben sie einen Grill aufgebaut und eine kleine Salatbar auf Tischen. Im Bus gibt es Strom, deshalb wird es auch eine Party mit Musik. „Sieht doch schon ein bisschen mehr nach Sommer aus“, sagt René, mit 32 der älteste in der Clique.



Auch die parteilose Bürgermeisterin Uta Heinrich ist zufrieden. „Wir müssen jungen Leuten in diesem Alter etwas anbieten, wo sie nicht pädagogisch kontrolliert werden“, sagt sie. „Das hier ist so ein Angebot in Reinform, mit dem sicher viele Jugendliche sehr zufrieden sind.“

Auch, wenn die Skater schon wieder von mehr träumen. „Wir bräuchten eine neue Oberfläche für den Platz“, sagt Björn. „Der Asphalt hier ist so rau, da hat man bei jedem Sturz gleich eine Schürfwunde.“ Ungefähr 20.000 Euro würde das kosten, haben die Jugendlichen ausgerechnet. Einer von ihnen, Marcel Tautorus, macht nämlich gerade seine Lehre im Tiefbau und ist dadurch sozusagen Experte. „Vielleicht finden wir dafür wieder jemanden, der uns fördert“, sagt er. „Wie man auf einer Baustelle arbeitet, haben schon in diesem Herbst viele von uns gelernt – wir würden auch etwas Neues anpacken.“

Ohne Förderung, das wissen aber alle über die verschuldete 90.000 Einwohnerstadt am Rande des Ruhrgebiets, bleibt das Ganze nur ein Wunsch. Aber: „Die Schutzhütte gibt es ja schließlich jetzt auch.“ Und sie hat motiviert. „Wir wissen jetzt, was wir zusammen schaffen können“, sagt Raffael Zacher. Neue Projekte sind deshalb für die Jugendliche nicht mehr unerreichbar. Und ihre neue Hütte wollen sie, so gut es geht beschützen. „Vielleicht können wir den anderen auch klarmachen, dass das ein Projekt von anderen Jugendlichen ist, was sie da benutzen“, sagt Raffael. „Einige kann das vielleicht davon überzeugen, sorgfältiger damit umzugehen.“ Bei schönerem Wetter wollen die Skater nämlich gerne mehr Zuschauer in die Hütte einladen. „Unsere Tricks machen ja nicht nur uns bei Fahren Spaß.“

Eins gilt aber auch schon im Winter: Immer wenn es regnet, wissen die Jugendlichen, warum sie hier Zeit und Energie hereingesteckt haben – und dass es eine gute Idee war.