Die Erfolgsgeschichte eines Bauwagens
„Das Sagen haben hier René und Frank“ steht auf einem kleinen Schild über der Schiebetür, die zwei Bauwagen verbinden, aber auch voneinander trennen kann. Die Erwachsenen aus Bauwagen Eins sollen hier in Bauwagen Zwei nämlich nichts sagen. Ohne vorher zu fragen, haben sie keinen Zutritt. Über diese Regeln wachen René und Frank. „Weil wir hier von Anfang an mitgemacht haben“, sagt der 14-jährige René. „Wir haben hier alles aufgebaut, alles mitgeplant – jetzt sind wir hier sozusagen die Chefs.“ Die Bilder vom Bauen hängen überall an den hellen Holzwänden des Bauwagens, den sich die Jugendlichen nach ihren eigenen Vorstellungen renoviert haben. „Ein paar Sachen müssen wir noch verbessern“, sagt Frank. Und auch Laura und Bea haben Wünsche. Vor allem Kissen fehlen, sagen die beiden 13-Jährigen. Sie haben nicht mitgebaut. Die Schülerinnen wohnen ein paar Häuserblocks weiter und haben den Bauwagen im Nachhinein entdeckt. Heute haben sich die Jugendlichen aus dem Elternbauwagen nebenan ein paar Gartenmöbel-Sitzkissen ausgeliehen haben. Der Kissen-Einkauf ist aber schon fest eingeplant.

Sitzplätze braucht der Krefelder Bauwagen tatsächlich viele. Zwischen 15 und 20 Jugendlichen nutzen den Jugendbauwagen, und bis zu 50 Erwachsene und Kinder sind regelmäßig im anderen, sagt Streetworkerin Martina Specker. Das Projekt hat sie ursprünglich mit fünf Teenagern und Jugendlichen begonnen. „Im Sommer an besonders schönen Tagen werden es sicher noch mehr“, sagt sie. „Das war ein Volltreffer, genau das, was hier gefehlt hat.“ Hier zwischen den tristen Hochhäusern der Alten Gladbacher Straße gab es vorher nichts für Jugendliche außer Wiese und Gebüsch.

Ins Jugendzentrum ein paar Häuserblocks weiter gehen die hier heimischen Teenager selten. „Leute, mit denen wir nicht so klar kommen“, erklärt René. Sie bleiben in ihrer Gegend – auch, wenn sie ihnen oft selbst nicht gefällt. „Schwierige Leute, manchmal auch nicht ungefährlich“, beschreibt Laura. Tatsächlich ist diese Siedlung die klassische Gegend für Sozialarbeit: Hohe Arbeitslosigkeit, sehr viele Wohnungen auf kleinem Raum, die zum Teil leer stehen und Drogenabhängige angezogen haben. „Die Jugendlichen waren gerade deshalb besonders motiviert, sich hier etwas Eigenes zu bauen“, sagt Martina Specker.

So motiviert, dass jetzt wegen des starken Zulaufs die ersten Konflikte gelöst werden müssen. Nicht alle der Jugendlichen mögen sich untereinander – „bei so vielen Leuten ist das auch nicht weiter verwunderlich“, sagt Martina Specker. „Weil sich aber viele derart stark mit ihrem Bauwagenprojekt identifizieren, wird dann auch schon mal die Tür geschlossen und gesagt: du sollst
aber nicht hierhin.“ Der Hauptdiskussionspunkt zurzeit. Denn der Bauwagen soll für alle da sein. „Viele der Jugendlichen sind auch noch jünger, gerade 13 oder 14, und suchen sich gerade erst ihren festen Freundeskreis“, sagt Martina Specker. „Wir müssen jetzt die richtige Art und Weise finden, wie wir solche Teilungskonflikte austragen und den Alltag regeln.“ Dafür gibt es eine gemeinsam erstellte Bauwagenordnung und regelmäßige Teamsitzungen, in denen alles und gerade auch Konflikte unter Jugendlichen und mit den Erwachsenen besprochen und gelöst werden. „Ein wichtiges Lernfeld für alle, auch die Kinder profitieren davon“, sagt Martina Specker.

Grundsätzliches steht bei allen Diskussionen von vornherein fest: „Wenn hier jemand was kaputt macht oder laut randaliert, fliegt er raus“, sagt René. Dafür gibt es ein Ampelsystem. Zeigt die Ampel für jemanden rot, darf er oder sie den Rest des Tages nicht mehr in den Bauwagen. „Wir zeigen auch den Erwachsenen oder den kleinen Kinder Rot“, sagt René. „Die sind nämlich auch manchmal zu laut.“
Weil die Bauwagen nur durch eine dünne Sperrholztür getrennt sind, gibt es zwischen den Wagen natürlich Konfliktpotenzial. „Auch das braucht einfach noch ein bisschen Zeit“, sagt Martina Specker. Heute steht die Tür zwischen den Wagen offen. Es ist kalt und im Eltern-Wagen steht ein Heißlüfter. Außerdem gibt es Tee und Kaffee für 20 Cent. „Einen eigenen Wasserkocher sollten wir uns auch noch anschaffen“, sagt Bea. „Wofür haben wir schließlich Strom.“

Irgendwann sollen die Jugendlichen auch einen eigenen Schlüssel für den Bauwagen bekommen und ihn auch abends nutzen dürfen. „Wir arbeiten da gerade an einem System“, sagt Martina Specker. Da die Teenager teilweise noch nicht 14 sind, kann aber allein aus rechtlichen Gründen kein völlig unkontrollierter Zugang stattfinden. „Der Plan ist, dass ein 18-Jähriger den Schlüssel bekommt“, sagt die Streetworkerin. Und das wird wohl Frank – der ja laut Eingangsschild sowieso das Sagen hat. „Vorher müssen aber die Nutzungskonflikte und die Art und Weise wie gestritten wird, geklärt und auch praxiserprobt sein. Sonst wird am Ende jemand einfach so aus dem Wagen ausgeschlossen.“ Zurzeit läuft die Schlüssel-Testphase. Der Schlüssel wird von den Jugendlichen bei einer ehrenamtlichen Nachbarin abgeholt und die Jugendlichen dürfen ab 14 Uhr in den Bauwagen. „Wenn das funktioniert, werden wir die Zeiten immer mehr weiten, um so die Jugendlichen an die Verantwortung zu gewöhnen und sie zu begleiten“, sagt Martina Specker. Von einem ist sie jedoch überzeugt: Wäre der Wagen ständig offen, wären auf jeden Fall auch ständig Jugendliche da.