Die neuen Nutzer
Der Cliquen-Jüngste heißt Miguel und wird bald ein Jahr alt. Miguel wippt beim Sound der Walkmanhandies auf dem Schoss seiner 16-jährigen Mama Julia und hebt rhythmisch die Hände. Der Rest der Clique ist entzückt – vor allem die Mädchen. Jeden Dienstagnachmittag von 17 bis 19 Uhr treffen sie sich hier im Keller des evangelischen Gemeindezentrums im Münsteraner Südviertel. Billardtische gibt es hier, eine Stereoanlage, Sofas und einen langen Tisch. „Hier im Südviertel gibt es nicht viele Orte, an denen wir uns ungestört treffen können“, sagt Julia. Die anderen stimmen zu. Im einzigen Jugendzentrum treffen sich Leute, „die wir nicht mögen“ – und ansonsten ist es zurzeit ziemlich kalt und ungemütlich draußen.

Deshalb ist die Clique gerade auf dem Weg dahin, diese zwei Stunden im Gemeindekeller auch wirklich ungestört zu verbringen. Bislang kommt jeden Dienstag auch Streetworker Rüdiger Korn – der aber prinzipiell dazu bereit ist, ihnen irgendwann den Schlüssel zum Raum zu geben. „Es muss nur feststehen, dass das dann gut läuft“, sagt er. Das heißt: Kein Alkohol, Rauchen nur draußen, nicht zu viel Lärm und ein gefegter Boden nach der Benutzung,aber auch Lösungen für Stress in der Clique oder mit lästigen Besuchern.

Wird das Wetter wieder besser, haben die Jugendlichen an einem anderen öffentlichen Raum Interesse angemeldet: dem Outdoorpoint des Betreten-erlaubt-Projekts. „Wir sind eh oft auf dem Spielplatz und im Park vor der Karl-Wagenfeld-Schule“, sagt Timo. Wir – das sind zwischen 15 und 18 Jugendliche mit leichtem Mädchenüberhang: Die Jüngste – nach Julias Baby – ist 14, Timo ist mit 21 der Älteste. Viele sind Schüler der Karl-Wagenfeld-Realschule, die älteren arbeiten in verschiedenen Berufen. „Wir sind ziemlich gemischt“, sagt Timo. „Wir haben verschiedene Interessen, hören unterschiedliche Musik und so. Befreundet sind wir zum Teil aber schon seit mehr als vier Jahren.“ So beschreibt auch Julia ihre Clique. „Offen für alles, es können auch immer wieder neue Leute zu uns stoßen. Hobbies, Kleidung, Musik – das kann jeder so machen, wie er will. Wir sind ja kein Verein, der irgendwelche Vorschriften macht.“

„Wir sind ja kein Verein“ ist ein Schlüsselsatz, der auch die geplante Benutzung des Outdoorpoints beschreibt. „Wir wollen nicht die Verantwortung für diesen Ort übernehmen. Keine Verantwortung, keine feste Regeln – eben nicht wie im Verein.“ Da wird Julia ganz deutlich. „Das ist ein öffentlicher Ort für alle Jugendlichen. Wenn da jemand was dran kaputt macht, halten wir bestimmt nicht den Kopf dafür hin.“ Benutzen wollen sie den überdachten Architektenentwurf gerne – und auch so viel Verantwortung dafür übernehmen, dass zumindest nach ihrem Besuch kein Müll zurückbleibt. Auf dem Spielplatz vor der Schule hatten sie nämlich bisher viel Ärger: Mit den Anwohnern und sogar mit der Polizei, weil einer von ihnen bei einer Kontrolle Alkohol dabei hatte.
„Die Flasche war noch verschlossen in seinem Rucksack“, sagt Noraempört. Die Anwohner stören die jugendlichen Spielplatzbesucher, weil sie manchmal laut werden und oft Müll hinterlassen. „Das sind natürlich nicht nur wir, aber wir hatten schon oft Ärger“, sagt Timo. Die großflächigen Grünanlagen rund um den Spielplatz gefallen der Clique dennoch. „Da kann man auch mal Fußballspielen und ist im Großen und Ganzen dann doch ungestört.“ Deshalb mögen sie auch den Outdoorpoint mitten in dieser Umgebung. „Und da hat dann ja niemand zu meckern, wenn wir da sind. Der ist ja schließlich für Jugendliche.“

Gebaut hätten sie ihn aber nicht – und sich auch nicht dafür eingesetzt. Da wird Timo genauso deutlich wie Julia. „Wir wollen nicht verpflichtet sein, uns in unserer Freizeit um etwas zu kümmern und uns danach auf jeden Fall dort zu treffen.“ Wenn es einen Ort für Jugendliche gibt, ist das gut, wenn nicht, wird sich die Clique auch damit arrangieren. „Wir werden uns auch im Sommer noch an anderen Orten treffen, weil wir ja eben nicht der Outdoorpoint-Verein sind. Wir machen das, was uns gerade Spaß macht“, sagt Julia. Und wenn andere den Outdoorpoint für sich beanspruchen? „Dann kann man nichts machen.“ Timo kann sich gut vorstellen, dass sich im Sommer viele Jugendliche dort treffen werden. „Dann gibt es bestimmt auch Ärger darum.“ Er kann sich auch vorstellen, dass dort das von anderen Jugendlichen selbst Gebaute in Schutt und Asche aufgeht. „Das wäre schade, aber auch das könnten wir eben nicht ändern.“

Geplant und mit Anwohnern, Polizei und Lokalpolitik ausdiskutiert hatden Outdoorpoint eine andere Gruppe Jugendlicher. „Weil es im Südviertel eigentlich kaum Plätze für Jugendliche gibt“, sagt Pascal, ein Jugendlicher der „ersten Outdoorpoint-Generation“ in einem Brennpunkt-Münster-Beitrag des „Offenen Kanals“ des Lokalfernsehens.„Außerdem möchten sich Jugendliche auch mal an einem Ort ohne pädagogische Dauerkontrolle treffen“, ergänzt Streetworker Rüdiger Korn. Diese erste Generation Jugendlicher ist allerdings inzwischen aus dem Projekt herausgewachsen. Für sie sei das jetzt zu spät, haben sie Rüdiger Korn gesagt. „Sie versicherten aber, dass auch die Planungsphase ihnen etwas gebracht hat und dass sie jetzt immer noch sehr zufrieden sind, so etwas für den Nachwuchs im Viertel zustande gebracht zu haben.“ Sie selbst haben jetzt fast alle eine eigene Wohnung. Gebaut wurde der Outdoor-Point im Wesentlichenvon Zehntklässlern der Hauptschule im Südviertel, die in einer speziellen Betriebs- und Schulklasse mit praktischer Arbeit ins Berufsleben eingeführt werden sollen. „Einer dieser Jungs hat danach eine Lehrstelle in einem der beteiligten Betriebe angeboten bekommen“, sagt Rüdiger Korn. Der Outdoorpoint ist somit ein Ort geworden, der für viele eine andere Bedeutung hat – und für die neuen Benutzer eben einfach nur ein Ort ist, an dem sie sein dürfen, wie sie sind.