Ein Ort im Umschwung
Auf der geschwungenen rot-braunen Steinmauer balan-ciert ein Feuerspucker. Fast 150 Menschen drängen sich um ihn und unter das Dach mit der gewagten Form: Vier Stahlträger halten das schwere Holz, einer davon steht so schräg wie Dach, das sich mit 45 Grad nach hinten neigt und auf einer Seite überraschend rund nach unten abfällt. Ein Architekten-entwurf, direkt auf dem Spielplatzgelände vor der Münsteraner Karl-Wagenfeld-Realschule. Der Ort für die vielen Jugend-lichen im Münsteraner Südviertel ist an diesem 7. Dezember 2007 endgültig fertig geworden – deshalb der Andrang und deshalb auch die zahlreichen Erwachsenen. Denn auch die Anwohner und Politiker wollen sehen, was aus dem Projekt geworden ist, über das sie vor über einem Jahr so kontrovers diskutiert haben.



Geplant, gestritten und gekämpft für einen eigenen Ort ohne erwachsene Dauerkontrolle und ohne Beschwerden von gestörten Nachbarn haben vor allem sechs Jugendliche, Mädchen und Jungen zwischen 15 und 17 Jahren. Ganz versteckt in der Masse der Einweihungsgäste hat Streetworker Rüdiger Korn sie entdeckt – und sich gefreut, dass sie überhaupt gekommen sind. Ihr Ort wird das nicht mehr werden, das haben sie ihm schon vor mehr als einem Jahr mitgeteilt. „Ihr Leben hat sich zu stark verändert“, sagt Projektkoordinator Korn. Einer ist inzwischen Vater, ein anderer hat eine Freundin mit Kind. Sie alle sind inzwischen mit der Schule fertig, gehen arbeiten, haben eine eigene Wohnung. „Schon dadurch sinkt natürlich der Bedarf nach einem ungestörten Aufenthaltsort draußen“, sagt Rüdiger Korn. „Sie haben ja jetzt ständig einen.“ Und durch die vielen neuen Lebensaufgaben hat sich auch die Clique verändert. „Als Clique gibt es sie wohl gar nicht mehr. Sie treffen sich zwar ab und zu – aber bei weitem nicht mehr so häufig wie früher.“

Den Outdoorpoint brauchen diese Jugendlichen nicht mehr. „Die Jugendlichen des Südviertels brauchen aber nach wie vor einen eigenen Treffpunkt“, sagt Rüdiger Korn. „Es hat für die Ursprungsclique eben einfach zu lange gedauert.“ Dafür waren die Betroffenen – Jugendliche, Anwohner, Behörden- und Politikvertreter – an allen Schritten beteiligt. Immer. „Wir haben alles ausdiskutiert“, sagt Rüdiger Korn. „Es ist eben ein Modellprojekt für Münster, aus dem alle Beteiligten auch durch den langen Diskussionsprozess gelernt haben.“ Und zu dem jetzt alle stehen - auch die, die fürchteten, dass die Jugendlichen jetzt erst Recht randalieren. „Alle haben sich entschieden, dass es einen Versuch wert ist.“ Der erste Teil des Versuches ist nach eineinhalb Jahren beendet: Der Treffpunkt steht.
Rückblende, September 2007: Milorad Vasic, Krystof Mikoylajczyk und Boban Avdulji schmieren Mörtel auf die erste Lage braun-roter Steine. Mauern lernen die drei 16-jährigen Hauptschüler hier, Grundrisse ausmessen und Fundamente erstellen – Bauen nach Plan. „Ein super Job“, sagt Krys und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Das will ich später unbedingt machen.“ Der Maurermeister Fleige nickt zustimmend. „Gute Idee, bewirb dich mal bei uns, deine Chancen sind gut.“ Die anderen beiden sind nicht ganz so begeistert. „Es ist besser als Schule, aber ich möchte lieber was anderes machen später“, sagt Boban. Was, weiß er noch nicht. Alle drei sollen einen Vorgeschmack auf das Arbeitsleben nach der Schule bekommen, die Neuntklässler sind in der so genannten BUS-Klasse ihrer Schule. BUS steht für Beruf und Schule. Ein Schuljahr enthält mehrere Praktika, Wochen der Arbeit, die anstelle des Schulunterrichts stattfinden – ein Angebot für Schüler, deren Abschluss wackelt, die keine Lust mehr auf Schule haben und auch schon oft nicht mehr hingegangen sind. Diese Schüler haben 2007 den Outdoorpoint gebaut und so das Zimmermann- und Mauerhandwerk kennengelernt – und „was es bedeutet, jeden Tag von acht bis 16 Uhr auf den Beinen zu stehen und zu arbeiten“, sagt Holbauer Brenke (Handwerker). „Willkommen in der Realität, davon haben auch Jugendliche was, für die dieser Beruf eigentlich nichts ist.“



Die drei Jungen nicken angestrengt. Dass der Outdoorpoint eine gute Idee ist, macht die Sache für sie leichter, sagt Milorad. „Jugendliche brauchen so was.“ Sie selbst werden ihn nicht regelmäßig nutzen, sagen aber alle drei. Sie wohnen zu weit weg, haben andere Treffpunkte in ihrem Viertel. „Vielleicht mal nach der Schule“, sagt Boban. „Wenn das hier fertig ist, kommen wir auf jeden Fall mal. Schließlich haben wir das hier gemacht.“

Mal kommen hier jetzt schon alle möglichen Jugendlichen hin, das sieht Streetworker Rüdiger Korn jetzt im Januar, einen Monat nach der offiziellen Eröffnung. „Hin und wieder treffe ich dort Jugendliche oder sehe an Zigarettenkippen oder ähnlichem, dass sich dort jemand aufgehalten hat.“ Feste Benutzer gibt es noch nicht, vermutet er. Eine Clique habe aber schon Interesse angemeldet. „Das hier ist eben ein Modellprojekt“, sagt er. „Wenn es das nächste Mal einen Outdoorpoint in Münster geben soll, wird das sicherlich schneller gehen, in einem halben Jahr oder so.“ Dass es noch einen geben wird, kann er sich gut vorstellen. „Dass dieser hier steht und mit seinem ganzen Für und Wider in der Öffentlichkeit präsent war, ebnet den Weg für einen anderen Umgang mit Jugendlichen im öffentlichen Raum.“