Wie viele Hütten braucht Wulfen-Barkenberg?
Wulfen-Barkenberg. 15.30 Uhr an einem Samstag. Gzim, Samit, Tolga und Marvin scharen sich um ein kleines Radiogerät. Es ist Bundesliga-Zeit und Fußball ist den Teenagern sehr wichtig. Deshalb müssen sie immer wieder hinhören, was in den Stadien los ist, während sie frierend auf dem Platz zwischen den Hochhäusern stehen und abwechselnd in der zum Glück nur leicht gefrorenen Erde einen Hohlraum für ein langes Plastikrohr ausschaufeln. Es ist unter Null Grad, aber heute ist Bautag. Ihre neue Hütte soll vor Weihnachten stehen – und dafür müssen auch sie anpacken. Heute müssen Rohre verlegt werden, damit in drei Tagen das Fundament steht, das die Betonmauern hält. „Beton, damit die Hütte nicht ganz schnell kaputt gemacht wird“, sagt Gzim zwischen den Spielergebnissen. „Das ist hier nämlich so.“ Seine Freunde ergänzen: „Krasse Gegend, kriminell und so, aber wir sind ja von hier, wir kennen das und wissen, wie man hier lebt.“

Hinter den Sandhügeln, die Streetworker Winfried Pauly – den die Jugendlichen hier „Winni“ nennen -  zusammen mit drei Teenagern aufschaufelt, liegt zurzeit eine grüne Wiese. Die Hochhäuser daneben sind mit Plastikplanen verhangen. Im Problemviertel Wulfen-Barkenberg hat die Verschönerungsphase begonnen. Einige der Hochhäuser prangen in leuchtendem Orange, Rot und Aubergine, andere sind noch schwarz-grau mit rissigen Fensterrahmungen, geprägt vom Leerstand.

„Es wird alles besser hier“, sagen die Jugendlichen. „Als wir so 14, 15 waren, da ging es hier echt ab, da musste man hier Angst haben.“ Damals hat der Streetworker für sie eine Hütte erstritten. „Die da vorne“, sagt Gzim und zeigt auf eine Hütte mit Wellblechdach und Holzwänden. Provisorisch sollte sie sein – und hat doch fünf Jahre gehalten. „Zum Reden und Musikhören“, brauchten und brauchen die Jugendlichen sie. „Wenn es regnet und wir grad nicht Fußballspielen können.

“ Gzim, genannt Jimmy, ist vor allem eins wichtig in der Öffentlichkeit: „Es ist wirklich nicht ganz schrecklich, hier aufzuwachsen. Das denken immer alle von außerhalb, aber das ist nicht so.“ Seine Clique habe hier alles gehabt, was man so braucht, sagt der 19-Jährige. „Hier gibt es einen Bolzplatz, viele Leute im gleichen Alter und Winni hat dafür gesorgt, dass wir auch Treffpunkte hier haben können.“ Dennoch hat Jimmy erst vor ein paar Tagen wieder gemerkt, was es heißen kann, ein „Barkenberger“ zu sein: „Eine Freundin hat sich in Datteln als Krankenschwester beworben und da wurde sie auf ihre Adresse angesprochen. Es ist auch weiter weg bekannt, dass das hier ein sozialer Brennpunkt ist und das ist auf dem Arbeitsmarkt bestimmt kein Vorteil für uns.“ Die sozialen Probleme zählt Jimmy in einem Atemzug auf: Arbeitslosigkeit, viel Arbeitslosigkeit, Alkohol, Kriminalität. „Wir haben echt einen Ruf weg.

“Die Hütte, für die sie heute schaufeln, soll auch für die jüngeren Jugendlichen sein, erklärt Gzimmy. „Wenn sie sie nicht weggenommen kriegen“, sagt Samit und schaut zur alten Wellblechhütte herüber. Dort treffen kann sich die Clique nämlich jetzt schon manchmal nicht mehr. Erwachsene Alkoholiker haben sie zu ihrem Treffpunkt erklärt. Wie die Jugendlichen sind sie Bewohner der sie umgebenden Hochhäuser, wie sie wollen sie bei Regenwetter ein Dach über dem Kopf haben und sowieso eine Bank zum Sitzen. „Dann pinkeln die in die Hütte und grölen darum“, sagt Samit. „Voll ekelig. Wenn die da sind, wollen wir da nicht hin.

“Eigentlich wird diese alte Hütte sowieso abgerissen – ursprünglich ersatzlos. „Als Teil der Verschönerungsaktion“, sagt Pater Pauly.
Ein Vorhaben, das ihm gründlich gegen den Strich ging. „Zur Verschönerung verschwindet der einzige Treffpunkt für die Jugend“, sagt er. „Sieht man das symbolisch, muss man darüber sauer werden.“ Mit dem Geld aus dem LAG-Projekt und vielen Diskussionen kann eine neue Hütte in Sichtweite der alten errichtet werden. „Diese wird jetzt auch schön, es widerspricht also auch nicht dem Verschönerungsgedanken“, sagt Pater Pauly. „Es kann also keiner was sagen.“ Stress mit den Nachbarn haben die Jugendlichen schon lange nicht mehr. „Wir machen ja auch an sich nichts Störendes an diesem Treffpunkt und haben das auch in der neuen Hütte nicht vor“, sagt Samit. Nur: Verschwindet die alte Hütte, kommen möglicherweise die unerwünschten Mitbenutzer ebenfalls in die neue. „Und dann versauen die uns die auch“, sagt Samit. „Mit denen können wir auf keinen Fall teilen.

“Das findet auch Pater Pauly. „Ich weiß, auch diese Leute brauchen einen Treffpunkt und jemanden, der sich für sie einsetzt. Ich bin hier aber der Anwalt der Jugendlichen – und sie brauchen das auch.“ Er grüßt freundlich einen Mann, der mit wütenden Augen an ihm vorbeigeht. „Einer der Leute, die in der Jugend-Hütte herumhängt“, sagt der Streetworker. „Ich habe auch schon in den Streit eingegriffen, weil die Jugendlichen sich bei mir beschwert haben.

“Helmut Gassen steht heute nicht in der Hütte mit dem Wellblech-Dach, sondern in einer Passage neben dem Supermarkt der Siedlung. Er schaut den Pater nicht wütend an, obwohl auch sie schon über den Nutzungskonflikt diskutiert haben. „Das Problem ist, das wir alle ganz viel trinken“, sagt er offenherzig. „Und das gefällt den Jugendlichen wohl nicht.“ Pater Pauly korrigiert: „Das Pinkeln und das man nicht mit euch reden kann, wenn ihr ganz viel getrunken habt, stört sie.“ Helmut Gassen kann das verstehen. „Aber wir brauchen doch auch einen Treffpunkt.“ Den Jugendlichen die neue Hütte streitig machen wollen sie nicht, beteuert er. „Wir wissen ja, das ist für Jugendliche. Aber wo sollen wir hin?“ Eine Idee hat er schon. „Wir wollen, dass die alte Hütte, wenn sie abgebaut wird, wieder woanders aufgebaut wird. Für uns.“ Prinzipiell hält Pater Pauly das für eine gute Idee. „Es ist ja tatsächlich so, dass diese Leute auch auf einen Treffpunkt draußen angewiesen sind.“ Die offene Wiesenfläche hinter der Hütte des LAG-Projekts, die den erwachsenen Hüttennutzern vorschwebt, kann – wenn überhaupt - nur eine provisorische Lösung sein. „Da sollen ja früher oder später neue Häuser hin“, sagt Pater Pauly. Er hat sich bereits in der Wulfen-Konferenz, einem Zusammentreffen von Stadt und Dorstener Institutionen, Vereinen und Initiativen, für eine Lösung eingesetzt. „Eine sozialarbeiterische Betreuung dieser Erwachsenen ist auch sinnvoll“.

16.30 Uhr, es wird immer kälter und auch dunkel. Die Rohre sind fast wieder eingegraben. Die Teenager hauchen Atemluft auf ihre Hände und schaufeln die letzte Erde auf. Geschafft. Den Rest des Tages wollen sie heute lieber drinnen verbringen. Vor dem Eingang des schwarz-grauen Hochhauses Nr. 82 warten sie auf „Winnie“, der schnell mit dem Architekten den nächsten geplanten Arbeitstag durchspricht. Pater Pauly hat in dem Hochhaus, das zu 40 Prozent leersteht, eine Wohnung gemietet. „Wobei in meinem Mietvertrag als Mietsumme 0 Euro steht“, sagt der Streetworker. „Ich mache ja schließlich was für die Mieter der Wohnungsbaugesellschaft.“ Mehrmals in der Woche ist die Wohnung für die Jugendlichen geöffnet: Zum Kickern, Musikhören – oder wie jetzt, zum Aufwärmen nach einem Tag auf der Baustelle.