Zwei Cliquen und schwieriger Nachwuchs
Alle Viertelstunde fährt ein Zug über die Gleise. Viele halten hier nicht, die Jugendlichen auf der Wiese neben den Gleisen finden die Züge trotzdem gut. „Es ist so laut hier, das uns niemand hört, wenn wir mal ein bisschen lauter sind“, sagt André Timpf. Laut sind sie bei diesem Wetter sowieso nicht. Fast 20 Jugendliche zwischen 16 und 20 stehen auf dem regennassen Asphalt. Sie haben die Kragen ihrer Jacken hochgeschlagen und reiben die Hände aneinander. Skateboards hat heute keiner dabei. „Ist zwecklos“, sagt André Timpf. „Die Rampen sind viel zu glatt.“
Der Platz neben dem Hörsteler Bahnhof ist trotzdem sein wichtigster Aufenhaltsort hier in Hörstel, dem Ursprungsdorf und Namensgeber der Stadt Hörstel. Knapp 6.000 Menschen leben hier – genug, damit sich Erwachsene an Heranwachsenden stören. Jahrelang hat die Clique um einen Skaterplatz gekämpft. „Wir hätten schon fast aufgegeben“, erzählt Mike Schindel. Haben sie aber nicht – und deshalb haben sie seit Mai 2007 einen Ort, an dem nur das Wetter manchmal stört.



Dagegen sollte das Betreten-erlaubt-Projekt eigentlich helfen. Jetzt gerade stehen die Hörsteler Skater dennoch im Regen – fünf Meter neben ihnen eine mit Blick auf die Rampen offene Schutzhütte aus Holz. An den drei geschlossenen Wänden sind rundherum Holzbänke angebracht. Zwei Tage lang haben die Hörsteler Skater gebraucht, um den Boden zu grundieren und die Hütte hochzuziehen. Jetzt sitzen andere darin. Sechs Jugendliche um die 14 haben sich auf die Bänke gehockt. Dazu setzen wollen sich die Skater nicht, sie rausschmeißen auch nicht. „Wir müssen uns noch überlegen, wie wir damit umgehen“, sagt André. „Es ist auf jeden Fall unsere Hütte, aber sie ist natürlich eigentlich öffentlich und wir können es niemandem verbieten, hier zu sein.“ Bei dieser Gruppe hätten sie es besser getan. Als sie abzieht, zieht die Skaterclique unter das schützende Dach – und erlebt eine hässliche Überraschung. An zwei Stellen wurden die Bänke ausgehöhlt. Die Holzfasern liegen überall auf dem Boden und sehen frisch aus. Auch neue Edding-Botschaften müssen die Jugendlichen lesen: „Skater, ihr seid Scheiße“ und „Fuck you, Skater.“

„Da sind wohl eine ganze Reihe Jugendcliquen neidisch, das die Jungs hier eine Hütte gekriegt haben und sie nicht“, sagt der Streetworker des Kreises Steinfurt, Sascha Hönekamp. „Die kommen zum Teil aus anderen Dörfern hierher und schmieren was auf die Hütte.“ Die Jugendlichen sind erst sprachlos und dann richtig sauer. „Das Geschmiere können wir ja noch überstreichen“, sagt André Timpf. „Mit den Bänken müssen wir jetzt so leben.“ Sascha Hönekamp will die Polizei bitten, in Zukunft häufiger vorbeizuschauen. „Das bringt doch nichts“, meinen mehrere Jugendliche. „Es lässt ja doch nicht beweisen, wer das war.“ Und Mike Schindel meint: „So sind wir natürlich nicht bereit, die Hütte zu teilen.

“ Nur: Abends sind sie zurzeit nicht auf dem Skaterplatz, das machen sie nur im Sommer. Und teilen sollen sie die Hütte sowieso – mit einer Clique von etwa 30 jugendlichen Russlanddeutschen, die in Hörstel ähnliche Probleme hatte wie sie, bevor sie den Skaterplatz bekamen: Anwohnerbeschwerden, Polizeiverweise wegen Lärm auf öffentlichen Plätzen. Das LAG-Projekt
ist für beide Cliquen. „Die kommen aber gar nicht hierher“, sagt André Timpf. „Das wird bestimmt erst im Sommer ein Thema.“ Kein schwieriges, meinen die Skater. „Die sind so ganz o.k., das wird schon klappen.“ Nur sehr verschieden seien die Gruppen. „Die skaten halt gar nicht“, sagt Mike. „Die interessieren sich für Autos und wollen in ihrer Freizeit nur abhängen und reden uns so. Da haben wir schon echt unterschiedliche Interessen.

“Damit sich die beiden Cliquen trotzdem annähern und die Hütte im Sommer ohne Dauerkonflikte nutzen können, organisiert Streetworker Sascha Hönekamp, der inzwischen beide Cliquen betreut, schon jetzt gemeinsame Aktivitäten. Ein Fußballspiel mit anschließendem Grillen gab es schon. „Das war auch sehr nett mit denen, das können wir auch gerne noch mal machen“, sagt Mike. Jetzt steht noch ein gemeinsamer Tauchausflug an. Auch Sascha Hönekamp ist optimistisch. „Das Fußballspiel ist wirklich gut gelaufen. Von sich aus untereinander treffen tun sie sich nicht, es ist aber für die Zukunft auch nicht auszuschließen.“ Streit um die Hütte gab es jedenfalls bislang noch nicht.


Dafür gibt es auch keinen Grund. 200 Meter Luftlinie von der Schutzhütte entfernt schieben Johannes Garmakov und Alexander Weide Billardkugeln in die dafür vorgesehenen Löcher. Es ist 17 Uhr. Noch sind sie nur zu zweit im ehemaligen Feuerwehrgebäude – der Ort, den ihnen seit Herbst 2007 die Stadt Hörstel als ihren eigenen Ort zur Verfügung gestellt hat. Durch die großen runden Holztüren fuhren vor Jahren die Feuerwehrwagen und hatten in der Halle viel Platz zum Parken. Jetzt gibt es hier eine Bar und einen Billardtisch. Den ehemaligen Mannschaftsraum hat die Clique zu ihrem Wohnzimmer gemacht. Auf dem Holzparkett stehen gebrauchte schwarze Ledersofa und ein Fernseher mit DVD-Player. Die Wände sind in lachsorange gestrichen, nur unterbrochen von drei weiß untersetzen chinesischen Zeichen: Für Liebe, Glück und Erfolg. Es gibt Heizung, Toiletten, elektrisches Licht – und Hausregeln an der Wand. Dass die Feuerwehrhalle nur für Hörsteler ist, dass hier keine Parties gefeiert werden und nicht übernachtet werden soll. Sämtliche Ausnahmen müssten diskutiert werden, heißt es abschließend. „Das ist hier sehr wichtig für uns“, sagt Alexander. „Deshalb passen wir auf, dass das hier auch ordentlich bleibt.“



Die Clique verwaltet die Schlüssel selbst und sorgt jeden Tag für Ordnung. „Es hat sich seitdem niemand mehr über diese Clique beschwert“, sagt Sascha Hönekamp. „Hier stören wir wohl niemanden mehr“, sagt auch Johannes. Die meisten anderen kommen erst abends, erzählen die beiden 16-Jährigen. Abhängen, DVDs gucken, Billardspielen, so beschreiben sie den Feuerwehrhallen-Alltag. „Mehr wollten wir vorher auch gar nicht“, sagt Alexander. „Nur hat es Leute an der Realschule und auf dem Marktplatz gestört.“ Er will im Sommer auch die Skaterhütte ausprobieren. „Ich versteh mich mit mehreren Skatern gut“, sagt er. „Wie das mit dem Rest von uns ist, weiß ich nicht. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht so gut.“ Im Sommer, da sind sich aber beide sicher, werden sie sicherlich auch mal ihre Feuerwehrhalle verlassen, um draußen zu grillen. „Es wird sich zeigen, wie das läuft.“