"Wir haben seit fast einem Jahr Ruhe in Hörstel"


Hörstels Bürgermeister im Gespräch über die Auswirkungen des LAG-Projekts auf seine Gemeinde:


LAG: Herr Hüppe, seit Ende vergangenen Jahres gibt es in Hörstel zwei Räume für Jugendliche, die nicht permanent pädagogisch kontrolliert werden und über die sie selbst bestimmen dürfen. Merken Sie einen Unterschied in der Stadt?

Herr Hüppe: Der Lokalpresse würde ich das jetzt nicht erzählen, aber ich merke einen Riesenunterschied: Wir haben seit fast einem Jahr Ruhe in Hörstel. Keine vermüllten Plätze mehr, keine Dauerbeschwerden von Einwohnern, so gut wie keine Polizeieinsätze wegen lärmender Jugendlicher. Es war eine Superidee, den Jugendlichen etwas Eigenes zur Verfügung zu stellen.

LAG: Das ist doch ein schönes Ergebnis. Warum würden Sie das der Lokalpresse nicht erzählen?

Herr Hüppe: Dass das eine Superidee war, erzähle ich schon. Aber nicht, dass das einen derartigen Effekt hat. Dann könnten nämlich andere Jugendgruppen auf die Idee kommen, diesen Frieden zu stören. Es gibt im Stadtteil Hörstel sowieso schon Leute, die fragen: Warum haben die Russlanddeutschen das Feuerwehrhaus bekommen und die Skater eine Schutzhütte – und wir nichts? Das sieht man ja auch an den Schmierereien auf dem Skaterplatz. Es könnte schon noch Neidprobleme geben und das will ich nicht schüren.
 
LAG: Vorher gab es ja vor allem Probleme zwischen den Jugendlichen und den erwachsenen Anwohnern.

Herr Hüppe: Es gab auch Probleme zwischen verschiedenen Jugendcliquen, die sich lautstark anpöbelten oder prügelten, zum Teil mitten in der Stadt. Die Clique der Russlanddeutschen-Jugendlichen wurde besonders schwierig, wenn der Schnaps geflossen war. Dann wurden immer auch gleich Flaschen zerschmissen und alles zugemüllt. Aber wie gesagt: Seit sie ihr Feuerwehrhaus haben, ist so etwas nicht wieder passiert.

LAG: Hat dieser Erfolg jetzt Auswirkungen auf die gesamte Jugendarbeit in Hörstel?

Herr Hüppe: Auf jeden Fall. Wir werden die Finanzierung für Jugendarbeit in Vereinen und Institutionen aufstocken, in denen Kinder und Jugendliche organisiert sind, damit künftig noch mehr Jugendarbeit möglich ist.

LAG: Den Jugendlichen ging es ja vor allem darum, dass sie sich an diesen Orten auch ohne Dauerkontrolle aufhalten können. Um den Skaterplatz mussten die Teenager jahrelang kämpfen. Damals waren Sie wohl noch nicht überzeugt von offener Jugendarbeit. Wie kam der Sinneswandel?

Herr Hüppe: Das lag eher daran, dass sich das Verhalten der Skater geändert hat, als daran, dass ich vorher generell etwas gegen offene Jugendarbeit hatte. Vor einigen Jahren tauchte die Clique hier unangemeldet im Rathaus auf und überreichte mir eine Liste mit 200 Unterschriften für einen Skateplatz. Wir sollten das bauen lassen, sie wollten es benutzen. Mehr als diese Unterschriften wollten sie nicht dazu beitragen. Als ich dann vorschlug, das Ganze an einen Sportverein anzubinden und die Finanzierung dann darüber zu regeln, fanden sie das blöd – weil sie ja eben nichts mit anderem Sport zu tun haben wollten. Diese unflexible Haltung kam in der Bevölkerung und somit im Stadtrat nicht gut an. Zumal die Clique damals eh viel Ärger machte und auch mal Garagentüren und Autos beschädigte. Richtige Lümmel waren das. Inzwischen hat sich das aber geändert, auch dadurch, dass sie ein bisschen älter geworden sind. Und dass sie das jetzt selbst geplant und gemacht haben, finde ich richtig gut und habe auch in der Bevölkerung viel Gutes darüber gehört. Wenn da jetzt Krawallmacher auftauchen, würden die Skater sie selber vertreiben, weil es ja ihr eigener Ort ist.

LAG: Hätte es ein solches Projekt auch ohne die öffentlichen Mittel der Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork in Hörstel gegeben?

Herr Hüppe: Eher nicht. Die Mittel waren sehr hilfreich, denn eigentlich wird die Jugendarbeit vom Kreis bereitgestellt, dafür überweisen wir schließlich jedes Jahr Millionen. Dadurch, dass wir den öffentlichen Zuschuss hatten, konnten wir es rechtfertigen, Geld der Stadt Hörstel einzusetzen. Der Erfolg des Projektes hat uns gezeigt, wie sehr sich eine solche Investition lohnt.

LAG: Wird es noch mehr solcher Projekte geben?

Herr Hüppe: Genau solche erstmal nicht. Aber es gibt auch in den anderen Stadtteilen Hörstels neue Angebote für Jugendliche. „Wir wollen einen Beachvolleyballplatz“, sagte mir zum Beispiel eine Mädchenclique aus einem anderen Stadtteil. Auch den gibt es jetzt und er wird von der gesamten Bevölkerung genutzt. Jede Clique und jeder Stadtteil hat eben andere Bedürfnisse.

LAG: Was würden Sie sich als Jugendlicher in Hörstel wünschen?

Herr Hüppe: Ich war als Jugendlicher sehr zufrieden damit, im Verein organisiert zu sein. Aber mir ist schon klar, dass sich viele Jugendliche heute etwas anderes wünschen: nämlich irgendwo sein zu können, wo auch mal keine strenge Regeln herrschen und nicht alles organisiert ist. Es gibt hier ja auch Jugendzentren, da geht es dann aber auch strenger zu. Viele stört es besonders, dass gar nicht getrunken werden darf. Deshalb wünschen sie sich Orte, an denen auch das möglich ist und auch nicht dauernd nachgefragt wird. Und bis jetzt klappt das auch sehr gut. Natürlich wurde schon mal gemeckert, auch von Anwohnern, dass gerade die größten Krawallmacher auch noch belohnt werden, aber insgesamt finden das alle sehr gut. In einem anderen Stadtteil von Hörstel, Riesenbeck, haben solche offenen Treffs übrigens eine lange Tradition und interessanterweise ist das auch derjenige Stadtteil, in dem es immer wenig Ärger mit Jugendlichen gab.

LAG: Was ist das für eine Tradition?

Herr Hüppe: Da treffen sich seit Jahren junge Leute in leer stehenden Ställen, Scheunen oder Geräteschuppen auf dem Gelände ihrer Eltern. Dort machen sie alles Mögliche, sicherlich trinken sie da auch mal was. Die Eltern schauen ab und an mal vorbei, sowie der Streetworker am Skaterplatz oder im Feuerwehrhaus. An sich haben die Jugendlichen aber ihre Ruhe dort. In Riesenbeck gibt es dieses Hühnerstall-Phänomen, so nenne ich das immer, schon so lange, dass die ersten jetzt schon Erwachsene sind. Die treffen sich aber zum Teil immer noch in den Scheunen, weil sie das derartig gut finden.

LAG: Wie sehen Sie die Zukunft der beiden offenen Räume im Stadtteil Hörstel?

Herr Hüppe: Sie werden auf jeden Fall von den Cliquen super angenommen. Ich hoffe sehr, dass es nicht zu Streit mit anderen Cliquen um den Ort kommt. Leider wurde die Skaterhütte auch schon ziemlich beschmiert und zwar nicht mit Grafitti, das man ja noch schön finden kann, sondern mit lauter blöden Sprüchen. Das zeigt mir, dass es schon Potenzial für Ärger gibt. Am Feuerwehrhaus ist das noch nicht passiert. Aber da hat mir der Polizist des Stadtteils schon viele neidische Stimmen zugetragen. Gerade über die russischen Jugendlichen haben sich viele Hörsteler geärgert und jetzt stört es offenbar einige, dass gerade diese schwierige Gruppe etwas bekommen hat. Einige Eltern der Russlanddeutschen-Jugendlichen haben sich dagegen dafür bedankt, dass es diesen Raum jetzt gibt. Sie finden, dass sich ihre Kinder durch das Projekt sehr positiv entwickelt haben. Das freut mich und das ist bislang auch mein Eindruck.

LAG: Vielen Dank für das Gespräch.


Heinz Hüppe, Jahrgang 1950, ist seit acht Jahren Bürgermeister der Stadt Hörstel. Er gehört der CDU an, die im Stadtrat die absolute Mehrheit hält.