Grüne Männchen und Platz für Mädchen
Mathias, David, Pascal und Uwe sind zufrieden mit diesem Mittwoch. Es ist 15.30 Uhr, kurz vor Feierabend. Den ganzen Tag haben sie hier in der Jugendwerkstatt des Vereins „Offene Türen Porz“ mitten in einem von Kölns schwierigsten Stadtteilen – dem Demo in Köln-Finkenberg - gezimmert. Und jetzt stehen sie da – und sind schon fast fertig: drei Bänke U-förmig angeordnet, mit Klappen für Stauraum und maßgefertigt für den Streetworkbus, der gerade in einer Halle in einem anderen Kölner Stadtteil steht und mit Graffiti besprüht wird. Fachmännisch erklärt Mathias, wie sie das Ganze mit „Keksen“ – ovalen Holzstücken – zusammengesteckt haben, erst zur Probe und dann mit Leim. Auch eine Küchenzeile haben sie für den Bus gebaut: Einen Unterschrank, auf dem eine Herdplatte mit zwei Gasflammen Platz hat und eine Spüle. „Der wird bestimmt voll der Bus, wenn der fertig ist“, sagt Mathias. Die anderen nicken. „Es gibt nämlich echt fast nichts für Jugendliche hier.“
 

Mit dem Bus sollen Ausflüge gemacht werden, man soll in Ruhe „chillen“ dürfen oder Musik machen und es gibt Rat und Hilfe in allen Lebenslagen. „Einen festen Stundenplan haben wir noch nicht gemacht“, sagt Sabine Grundmann, die zusammen mit drei Kollegen Streetwork im Demo macht. Mit dem Bus werden sie auch andere Stadtteile anfahren. „Aber nirgendwo ist der Bedarf so groß wie hier“, sagt sie. „Hier haben nur wenige Jugendliche eine Perspektive.

“Auch die vier Jungen machen zurzeit „eine Maßnahme“ in der Werkstatt, wie sagen. „Aber eine sinnvolle“, betont der 16-jährige Mathias. Das Werkstattjahr in der Jugendwerkstatt soll sie auf eine echte Lehrstelle als Zimmermann vorbereiten. „Für mich wäre das auch was“, sagt Mathias. Seine Freunde sind etwas weniger überzeugt. Aber der Busausbau hat allen Spaß gemacht. „Hier wird so was auch gebraucht“, sagt Pascal.

Hier, zwischen den Hochhäusern aus Beton und Wellblech, nennen sich die Jugendlichen Demo-Ratten. „Alle Jugendlichen hier machen das“, sagt Mathias. David, Pascal und Uwe lächeln, als Mathias das erzählen. Sie sind stolz darauf, aus dem Demo – dem gescheiterten Demonstrativ-Bauvorhaben des Bundes - zu kommen. Auch, wenn der 16-jährige Matthias sagt: „Ich selbst wäre nicht hier hin gezogen, aber jetzt hab ich mich dran gewöhnt und komme auch gut zurecht.“ Sie sind stolz, weil das Demo in vielem so ist wie die Ghettos auf den Rap-Platten und weil man selbst stark sein muss, um hier zu Recht zu kommen. „Alle sind hier in Gangs, ständig wird was abgefackelt“, beschreiben die Jungs. „Viel Kriminalität, Drogen und Gewalt.“ Das sei manchmal schwierig, aber man komme damit klar.

Regelmäßig zur Schule gehen tut hier fast niemand, sagt Sabine Grundmann. „Da sehen die meisten gar keinen Sinn drin.“ Dadurch werden die Tage lang für die Jugendlichen. „Und dann machen die irgendwas Krasses“, sagt Mathias und erzählt, dass es der neueste Trend sei, bei Leuten anzuklingeln und dann irgendwas Brennendes in die Wohnung hereinzuschmeißen. „Einfach nur so, aus Langeweile.

“Für die Streetworker Sabine Grundmann, Roman Friedrich, Necmi Serefoglu und Sergej Becker ist der Bus eine wichtige Chance, mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben, um ihnen helfen zu können – wenn sie das wollen. „Wir bieten alles an: Drogenberatung, Hilfe bei Vergewaltigung, Hilfe, wenn es Probleme mit der Schule oder der Polizei gibt“, sagt Sabine Grundmann. „Die Jugendlichen wachsen hier in einer Atmosphäre von Gewalt und Kriminalität auf und die Erwachsenen im Demo sind oft mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.“ Und die sind oft ähnlich. Deshalb ist die Hilfe der Streetworker ohne Altersbeschränkung.

Isabelle und Selda stehen frierend vor einem der Hochhäuser. Den beiden Schwestern ist der Bus besonders wichtig. Denn sie einen Platz ohne Jungen haben. „Deshalb haben wir uns überlegt, dassder Bus an einigen Tagen nur für Mädchen sein soll“, sagt die 17-jährige Isabelle. „Überall, wo die Jungs hingehen,
passiert irgendwas Gewalttätiges. Die schlagen zum Spaß, auch die Mädchen oder es wird ganz viel getrunken. Da wollen wir auch mal unsere Ruhe haben.“ Wir, das ist eine Mädchengruppe, die Sabine Grundmann ins Leben gerufen hat. Die Gruppe will den Bus von innen verschönern, wenn die Möbel eingebaut sind.„Mädchen haben es hier im Demo besonders schwer“, sagt die Streetworkerin. „Sie müssen sich hier auch körperlich gegenüber den Jungs behaupten und sind oft auch sexueller Gewalt ausgesetzt, deshalb gehen sie fast gar nicht ins Jugendzentrum oder in Cafés.“ Im Gegensatz zu den Jungen seien die meisten nicht in Gangs organisiert und alleine oder in einer kleineren Gruppe sei das Demo schwieriger zu bewältigen. „Sie brauchen einen Raum, in dem sie eine Pause von dem Dauerstress haben können und wo wir sie auch erreichen können.“

Die beiden Schwester fühlen sich an und für sich sicher im Demo:„Uns tun die nichts, weil wir von hier sind“, sagt die 16-jährige Selda. Die Gewalt stört sie trotzdem sehr. Sie will deshalb unbedingt weg vom Demo, „wenn das irgendwie geht.“ Isabelle will bleiben, trotz allem. „Ich kenn alle und weiß, wie ich mich hier verhalten muss. Dann ist das Leben hier auch ganz in Ordnung.“ Mit dem Bus wollen die Mädchen mal einen Ausflug machen - „hier in der Gegend“ und Musik machen – „Rap natürlich.

“Weil diese Musik für fast alle Jugendlichen im Demo so wichtig ist, planen die Streetworker bereits an einem Rap-Projekt im Bus. „Nur die russischen Jugendlichen erreichen wir auch damit wahrscheinlich auch nicht“, sagt Roman Friederich. Auch er ist – wie Sergej Becker – Russlanddeutscher und spricht entsprechend perfekt Russisch. „Die Gruppe ist sehr verschlossen“, sagt er. „Sie haben auch mit den anderen Jugendlichen nichts zu tun, weder mit den deutschen noch mit den vielen anderen.“ Gleichzeitig seien der Drogenkonsum und die Kriminalität hoch. „Da wird jedem von außen erstmal misstraut“, sagt Roman Friederich. Erste Erfolge hat er inzwischen gemacht: Einige der Jugendlichen sind -  zusammen mit anderen, nicht-russischen - mit zu einem Ausflug ins Kino gekommen und haben sich auch an der anschließenden Diskussion über den Film Bader-Meinhoff-Komplex beteiligt. „Ein Anfang“, meint Roman Friedrich. „Da habe ich mich sehr drüber gefreut.

“Auch die Streetworker haben sich an das Demo gewöhnt. „Wir werden hier mit Respekt behandelt“, sagen beide. Dafür gebe es vor allem ein Rezept: Freundlich, aber sich nichts gefallen lassen. „Der Hippietyp Sozialarbeiter hätte hier verloren“, sagt Roman Friedrich. „Damit einen die Jungs hier überhaupt ernst nehmen, muss man ihnen oft Kontra geben, auch im drastischen Ton, dann wird man respektiert.



“Einige Stadtteile hinter dem Demo geben Maurice Kusber und Alexandra Renken der Skyline von Köln den letzten Schliff. Sie sind die Mittwochsmaler, ein Kunst- und Grafitti-Projekt mit Jugendlichen aus ganz Köln. Ihr aktueller Auftrag: Das Streetworkmobil für das Betreten-erlaubt-Projekt. Drei grüne Männchen haben die Jugendlichen an den ehemaligen Schulbus für behinderte Kinder gesprüht, dahinter die Skyline der Stadt und in orangenen Buchstaben „Streetwork Mobil Porz“, dem Stadtbezirk zu dem auch Finkenberg und das Demo gehört. Eins der Männchen läuft und lacht – es steht für Aktivitäten. Im grünen Gesicht auf der anderen Seite ist der Mund nur ein Strich und die Augen riesengroß – es hat Angst. Auch das grünen Männchen auf der gegenüberliegenden Seite sieht elend aus, das Gesicht ist verzerrt – aber auf seinem Bauch trägt es ein „I“: Es hat sich Hilfe gesucht im Bus. „Die Jugendlichen haben sich für diesen Entwurf in die Situationen hereingedacht, in denen man einen solchen Bus braucht“, sagt Maurice Kusber. „Einige der Maler kommen sowieso selbst aus Porz.“

Die nächste Haltestelle des Busses wird das Demo sein, denn hier wird in den nächsten Tagen noch am Innenausbau gefeilt. Die ersten Punkte gehen also an das lachende grüne Männchen.