Skaten über alles
Klack. Womm. Carsten Wiedemhöfer rast auf seinem Skateboard die Rampe herunter. Kurz nach dem Absprung schwebt er einen Moment in der Luft, die Knie angewinkelt, die Füße fest auf dem Board. Ein „Air“ heißt das im Skateboard-Slang, ein Luftrick. Der 17-jährige macht solche Tricks jeden Tag, wenn er aus der Schule kommt. Gerade sind Herbstferien.

Aber für Carsten ist der Lufttrick nur eine Verschnaufpause. Denn auf einige Meter hinter der Skateboard-Rampe dröhnen laute Geräusche: Hacken, Schleifen, Hämmern. Ömer Cerit wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Wir haben nur eine Woche Zeit“, sagt der Streetworker, der die Jugendlichen zusammen mit seinem Kollegen Uwe Waterkamp seit der Entstehung der drei Skateboard-Rampen im Zechenpark Brassert vor vier Jahren betreut. Ömer Cerit schleppt deshalb mit. Einen Stein nach dem anderen legt er zusammen mit fünf Jungen zwischen die Rondell-artig angeordneten Betonpfähle. „Das wird der Boden“, erklärt Marcel Tautorus. Bruchsicher und feuerfest.“ Der 17-jährige Lehrling hat sich Urlaub genommen, um hier zu bauen. Urlaub von seiner Arbeit im Tiefbau. „Da mache ich das Gleiche wie hier“, sagt er. Allerdings für andere und nicht für sich. „Deshalb macht es hier mehr Spaß.“ Marcel ist hier der Fachmann, der, den alle bei Problemen fragen. Einige Steine müssen zurecht geschnitten werden. „Kein Problem“, sagt Ömer Cerit. „Wir werden alle immer professioneller.“ Denn alle wollen so schnell wie möglich ihr Ziel erreichen: Eine Schutzhütte mit drei Wänden aus Beton und einem massiven Holzdach direkt hinter einer der Skate-Rampen – das LAG-Betreten-Erlaubt Projekt für die ehemalige Zechenstadt Marl am Rande des Ruhrgebiets.

Für 20 Stunden, verteilt auf eine Woche, haben sich die Marler professionelle Hilfe eingekauft. „Wir wollen so viel wie möglich selber machen, damit die Jugendlichen sich mit der Hütte identifizieren“, sagt Ömer Cerit. Dafür nehmen sie viel in Kauf. Auch einen ganzen Tag lang eine große Betonfäche mit Spitzhacken aufbrechen. „Die Firma musste schnell zu einer anderen Baustelle und dann ist Beton, der eigentlich nicht dahin sollte, getrocknet. War das eine Arbeit.“ „Jetzt fängt bald die Jahreszeit an, wo wir die Hütte wirklich brauchen“, sagt der 17-jährige Oliver Baumann. Bislang saßen die Skater zusammengekauert unter den Rampen, wenn es regnete. „In einer Hütte mit Bänke kann man natürlich viel besser ausspannen“, sagt er. „Auch Zuschauer haben es dort bequemer.“

Denn die Hütte ist auch für Nicht-Skater wie den Tiefbau-Lehrling Marcel Tautorus, der häufig am Zechenplatz Brassert vorbeikommt – ohne zu skaten. Die nächsten Anwohner sind weit weg, der Skaterplatz liegt zwischen hügeligen grünen Wiesen, auf denen vor allem im Sommer Marls Jugendliche einfach abhängen können. „Natürlich ist der Platz für alle da“, sagt auch René. Mit 32 ist er hier der älteste. Skaten ist sein Leben, sagt er.

Die Jugendlichen im O-Ton über ihren Unterstand und das Skaten (zu hören >>> oben)

„Und für die Kids ist so was extrem wichtig,
weil es etwas Friedliches und Sinngebendes ist – besser als den ganzen Tag Computer zu zocken.“ In Marl gäbe es schließlich nicht viel für junge Leute. „Wenig Arbeit, wenig Perspektive.“ Bis zu 20 Skater nutzen den Platz, die jüngsten sind 13, der älteste 32. „Es geht uns um Spaß“, erklärt Oliver Baumann seine Clique. „Wir zeigen uns gegenseitig Tricks und fahren eben.“



Heute turnen auch zwei Kleinkinder auf der Rampe. Vor einigen der Mitbenutzer haben die Jugendlichen allerdings große Sorge. „Hier hängen hin und wieder auch Rechtsradikale rum“, erzählt Carsten Wiedemhöfer. Bruchsicher - das war deshalb das Hauptkriterium im Planungsworkshop, bei dem der Entwurf der Hütte entstand. „Wir werden die Hütte auch sicher immer wieder übermalen müssen, weil die hier ihre Sprüche hinterlassen.“ Auch daran, dass sie immer wieder zur Tankstelle laufen müssen, um sich Besen und Kehrblech auszuleihen, haben sich die Skater gewöhnt. „Hier liegen oft Scherben von irgendwelchen Saufgelagen“, sagt Carsten.
 
Die Jugendlichen im O-Ton über die unerwünschten Besucher / Problem mit Nazis (zu hören >>> oben)

Der Zechenplatz Brassert ist trotzdem sein wichtigster Aufenthaltsort – auch wenn er manchmal auf andere Skateplätze in Marl und im Ruhrgebiet fährt, zur Abwechslung. „Der hier ist schon super.“ Xmal in der Woche ist für x Stunden auch der Bus der städtischen Streetwork auf dem Platz. Dann gibt’s auch Strom – und DJ René legt auf, so dass zur Musik geskatet werden kann. Zur Zeit gibt es im Bus vor allem Brötchennachschub. „Alle schuften hier täglich hart“, sagt Ömer Cerit. „Trotz Schulferien sind die Jugendlichen richtig fleißig.“ Zusammen mit seinem Kollegen Uwe Waterkamp arbeitet Ömer Cerit in ganz Marl als Streetworker. „Im Moment hat das LAG-Projekt aber Priorität“, sagt Uwe Waterkamp. „Bis die Hütte steht, helfen wir auch jeden Tag mit.“

Danach wollen die Jugendlichen sie noch anmalen. Und dann kann der Winter kommen.