Die Schwierigkeit des Teilens
Hermann ist genervt. „Und das ist jetzt alles für euch?“ ruft er in den Raum des Münsteraner Tagungszentrums Haus Lorenz herein. „Das habt ihr euch wohl so gedacht. Voll unfair.“ Die Jungen und Mädchen an seiner Seite nicken heftig und werfen giftige Blicke auf die Jungen ein paar Meter weiter entfernt. Felix, der den ersten der drei Planungsentwürfe für den gemeinsamen Platz der Grevener BMXer und Hermanns Clique gerade vorstellt, muss ein paar Mal schlucken, bevor er weiter macht: In eine Ecke des ehemaligen Sportplatzes soll die Hütte für die Clique, der Rest ist für die Dirtbahn der Biker. „Was für eine Scheiße“, ruft ihm jetzt auch noch Johanna stellvertretend für den Rest der Clique entgegen. „Ihr könnt froh sein, dass ihr überhaupt mitmachen dürft.“ Das wollen sich die BMXer nicht sagen lassen. „Dann stellen wir eure Hütte jetzt auch wieder zur Diskussion“, sagt Simon. Das macht Hermann so wütend, dass er am liebsten nach Hause gehen will.

Eine Stunde später. Edgar Hengstmann, Fachbereichsleiter Jugend, Maria Muhle vom Fachdienst Kinder und Jugend und Konrad Dömer, Jugendamtsleiter der Stadt Greven setzen sich zwischen die zehn Jugendlichen der zwei so grundverschiedenen Cliquen. Diesmal präsentiert Hermann. „Und da unten, da können dann die Biker fahren“, sagt er. „Hier ist unsere Hütte“, zeigt er im Entwurf und im Luftbild daneben. „Und dahin soll eine neutrale Zone mit Hängematten, einem Basketballplatz und Bänken. Fertig.“ Edgar Hengstmann fragt noch mal nach: „Reicht euch das denn für die Clique? Das ist ja nur ein ganz kleines Stück des Platzes?“ „Ach, wissen Sie“, sagt da Hermann. „Wir machen das ja sowieso nicht nur für uns, der Platz ist ja für alle da, auch für andere aus Greven, deshalb reicht uns das auf jeden Fall.

“Ein Einstellungswandel, an dem alle hart gearbeitet haben. Das Ergebnis: Der erste Entwurf, über den sich die Clique so geärgert hat, ist vollständig vom Tisch. Die anderen beiden Entwürfe wurden zusammengefasst. Und was sagen die Radfahrer? „Damit sind wir auch sehr zufrieden“, sagen Aron und Simon, zwei der BMXer. „Wir werden sicher auch keine Probleme haben, uns den Platz mit der Clique zu teilen.“

Zwischendurch hat sich das immer wieder ganz anders angehört. „Die Gruppen sind eben sehr verschieden“, sagt Streetworker Georg Dodt. „Das war die Herausforderung an diesem Sonntag.“ Der begann für die Grevener Jugendlichen schon um 9 Uhr. Und ab 10 saßen sie im Tagungshaus in Münster und arbeiteten an Konzepten für ihren Platz – den sie mit der jeweils anderen Clique zu teilen haben, auch, wenn die meisten sich bislang nicht einmal Hallo sagten, wenn sie sich auf der Straße begegneten. „Es ist auch für professionelle Stadtplaner eine Herausforderung, einen solchen Platz zu planen“, sagt Angela Uttke vom Verein „Jugend.Architektur.Stadt“.
Die Stadtplanerin der Universität Dortmund hat zusammen mit dem Architekten Sebastian Schlecht – ebenfalls vom Verein, der mit Jugendlichen Planungsprojekte erarbeitet – den ganzen Tag lang Wünsche in Entwürfe gefasst. „Wünsche, die sich zum Teil stark widersprochen haben“, sagt sie. „Aber die Jugendlichen haben das sehr gut hingekriegt.“

Zunächst verkörperten sie in Rollenspielen mögliche Konfliktpartner, um bei ihren Entwürfen Ärger mit anderen von vornherein auszuschließen: Was sagen die Fahrradfahrer an der Ems? Was die Betreiber des Hallenbads? Die nächsten Anwohner? Andere Jugendliche? Im zweiten Schritt formulierten die Jugendlichen – noch in der großen Gruppe – ihre Wünsche an den Platz: „Kein Dreck von der Dirtbahn auf der Wiese“, zum Beispiel. Oder: „Hängematten in einer neutralen Zone“.

„Dann haben wir uns ausgiebig mit dem Gelände befasst“, sagt die Stadtplanerin. „Schließlich wollten wir richtige Entwürfe präsentieren können und dafür musste allen klar werden, was an welcher Stelle des Geländes überhaupt möglich ist und von welchen Größendimensionen wir bei der Planung ausgehen müssen.“

Und danach begann der schwierigste Teil der Veranstaltung: In drei gemischten Kleingruppen wurden konkrete Entwürfe erarbeitet. „Da begannen dann auch erste Konflikte“, sagt Streetworkerin Claudia Termöllen-Gausling. „Es wurde zum Teil richtig hart gestritten. Dafür haben wir das hier aber auch gemacht: Damit das jetzt hier endgültig ausdiskutiert wird und nachher alle mit der Aufteilung leben können.“

„Wir wollen in der Hütte vor allem abhängen“, sagt Tatjana. „Musik hören und da sitzen können, auch wenn es regnet.“ Für Wertgegenstände, wie eine Musikanlage, Kabel, falls es irgendwann Strom geben sollte, Batterien und ähnliches hat die Clique einen Container geplant, in dem diese über Nacht weggeschlossen werden. „In unseren Wohnwagen wurde schließlich eingebrochen und alles kaputtgemacht. So was soll nicht noch mal passieren“, sagt Hermann. Wichtig war ihm auch, dass die Clique auch noch die Möglichkeit hat, auf dem Platz Sport zu machen: Auf einem Basketballplatz in der neutralen Zone. „Und die Wiese und die Hängematten in dieser Zone, die können wir ja auch benutzen“, sagt Johanna.Der Rest des Platzes ist der BMX-Parcours. „Den müssen wir im Detail dann noch planen“, sagt Simon. „Wo die Rampe hinkommt und so weiter.“ Den BMXer ist es ansonsten noch wichtig, dass sie sich auch irgendwo auf eine Bank setzen können, um Pause zu machen. „Und möglichst an eine Stelle, von wo aus wir die Radstrecke beobachten können.“ Mit der neutralen Zone sind auch sie jetzt sehr zufrieden. „Freunde werden diese Jugendlichen wahrscheinlich nicht“, sagt Georg Dodt. „Einer friedlichen Nachbarschaft steht aber nichts mehr im Weg.“